
Beim Kick-off des French Healthcare Booster Germany (FHBG 2024) der französischen Wirtschaftsförderung Business France in Düsseldorf haben Mitte Februar acht Unternehmen vor Wirtschaftsförderern, Investoren, Krankenkassen und Beratern gepitcht (1).
In den nächsten 12 Monaten wollen sie im Deutschen Gesundheitsmarkt erfolgreich punkten, in einem Markt, der so ganz anders strukturiert ist wie der französische, wo sie mit ihren Gesundheitsinnovationen bereits überzeugen konnten. Jetzt setzen sie an zum Sprung nach Deutschland und erhalten Rückenwind von Partnern aus dem deutschen und französischen Chapter der Healthcare Shapers, die sie im Rahmen eines Guided Market Entries begleiten.
Kultur - nicht unhöflich, sondern direkt
Da gibt es viele kulturelle Unterschiede, die bei der erfolgreiche Anbahnung neuer Geschäftsbeziehungen zu Entscheidern im Deutschen Gesundheitsmarkt durchaus relevant sein können. In Frankreich spielt das Zwischenmenschliche eine größere Rolle, bei deutschen Geschäftspartnern liegt der Fokus auf Fakten und den Inhalten, sie sind direkter, kommen schneller zum Punkt, was französische Geschäftspartner irritieren kann.
Dass das alles keine Klischees sind, zeigt die Paneldiskussion „Gründer:IN“ im Rahmen der Auftaktveranstaltung in Düsseldorf (2). Vier Business Frauen, die sowohl in Frankreich als auch in Deutschland im Gesundheitsmarkt tätig sind, bestätigen deutliche Unterschiede. „Auch die Rolle der Frau in der französischen Business Welt ist eine viel Selbstverständlichere. Familie und Beruf zu vereinbaren, hat in Frankreich eine längere Tradition,“ so Dr. Ursula Kramer, Partnerin im Netzwerk der Healthcare Shapers, die im Rahmen der Diskussion in Düsseldorf Erfahrungen aus beruflichen Stationen als Wissenschaftlerin, Entscheiderin im Pharma Business und als Unternehmerin der eigenen Beratungsagentur teilt (3).
Struktur - reguliert, föderal & selbstverwaltet
Auch die Strukturen im Deutschen Gesundheitssystem sind ganz anders, als in Frankreich. Deutschland ist föderal organisiert, auch das Gesundheitssystem, es setzt auf Selbstverwaltung, d. h. Ärzte, Apotheker, Krankenkassen und Patientenvertreter entscheiden im Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA (4), unter welchen Voraussetzungen Arzneimittel, Medizinprodukte und medizinische Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Leitplanken von Krankenkassen erstattet werden.
Die Versorgung ist in Sektoren aufgeteilt, der stationäre Bereich mit Klinikärzten ist strikt getrennt vom ambulanten Bereich mit Arztpraxen und niedergelassenen Ärzten, ihre Leistungen werden aus unterschiedlichen Budgettöpfen finanziert.
Auch die Marktzugangswege über die digitale Therapien in Deutschland in die Erstattung und damit in die Patientenversorgung gelangen, haben in Europa und weltweit eine Alleinstellung. Seit 2019 gibt es den sog. DiGA Fast Track für digitale Gesundheitsinnovationen (5), daneben alternative Wege, um über Selektivverträge mit einzelnen Krankenkassen in die Versorgung zu kommen.
Weniger Staat – mehr Komplexität im Markteintritt
In Deutschland ist das Vertrauen in den Staat historisch bedingt deutlich geringer, als in Frankreich. Die staatliche Einflussnahme und die Durchgriffsmöglichkeiten sind eingeschränkt, die Stakeholder-Landschaft ist vielfältig und damit die Partikularinteressen, die häufig langwierig und mühsam ausbalanciert werden müssen. Das verzögert Entscheidungsprozesse und macht es für Unternehmen, die mit ihren Produkten in die Regelversorgung kommen wollen, komplex. Es gibt nicht eine gesetzliche Krankenkasse, sondern fast 100 (6), die die rund 72 Mio. Versicherten und damit 90 Prozent der Bevölkerung verwalten, die restlichen 10 Prozent sind in privaten Krankenkassen versichert (7). Die Zuständigkeiten innerhalb dieser Krankenkassen spiegeln häufig noch die sektoralen Versorgungsstrukturen wider. Das erschwert die ganzheitliche Betrachtung von integrierten Versorgungspfaden und die Entwicklung hin zu einem qualitätsbasierten Erstattungsansatz im Sinne von Value-Based-Healthcare (VBHC), der sich zukünftig stärker am Nutzen für den Patienten orientiert (8).
Bürokratie - noch ziemlich viel Papier
Im Vergleich zu den europäischen Nachbarn liegt Deutschland insgesamt in Sachen Digitalisierung auf den hinterern Rängen, was sich an der späten Einführung der digitalen Patientenakte, des e-Rezepts oder der digitalen Identitäten zeigt (9). In der Dokumentation gibt es hierzulande noch sehr viel Papier.
Deutschland investiert derzeit riesige Summen in die digitale Infrastruktur in Krankenhäusern (Krankenhauszukunftgesetz KHZG), um deren niedrigen digitalen Reifegrad zu erhöhen (10). Mit großen gesetzgeberischen Anstrengungen versucht Deutschland, die vielen Rückstände in Sachen Digitalisierung endlich aufzuholen (11).
Auch Frankreich gibt Gas in Sachen Digitalisierung und will in Europa zum Vorreiter werden für Digitale Gesundheit (12). In Anlehnung an den deutschen DiGA Fast Track hat Frankreich mit dem PECAN Verfahren einen modifizierten Marktzugangsweg für digitale Therapien an den Start gebracht, den einige Unternehmen des French Healthcare Booster Germany 2024 bereits eingeschlagen haben.
Markt - Unterschiede verstehen und Chancen nutzen
Deutschland hat nicht nur den größten Gesundheitsmarkt und mit dem DiGA Fast Track die derzeit smartesten Marktzugangsmöglichkeiten für digitale Therapien in Europa, sondern auch besonders hohe Ansprüche an Datenschutz und Datensicherheit. Wer im deutschen Markt fußfassen möchte, muss die Besonderheiten des regulierten deutschen Gesundheitsmarkts und die Landschaft der Stakeholder kennen, um nationale Initiativen und strategische Allianzen zu nutzen und regulatorische Hürden zu überwinden, fehlende Evidenz zu generieren oder Vertriebskanäle aufzutun.
Die Herausforderungen für die Unternehmen des French Healthcare Booster Germany 2024 variieren stark, auf der einen Seite sind es junge Startups, die in Frankreich bereits überzeugen konnten und im Rahmen ihrer Skalierung den deutschen Markt adressieren. Für sie zählen andere Erfolgsfaktoren, als für die etablierten, großen Unternehmen, die mit durch den Aufbau einer Unternehmenspräsenz in Deutschland ihr Geschäft in Europa weiter ausbauen wollen.
Guided Market Entry - Healthcare Shapers schaffen Rückenwind
„Die Healthcare Shapers bieten den Firmen einen maßgeschneiderten, modularen Beratungsansatz und öffnen Türen. In kleinen, effektiven Teams, die für die individuellen Anforderungen der Firmen am besten passen, bahnen wir Wege und bringen Unternehmen schneller ans Ziel, d. h. in den deutschen Gesundheitsmarkt“ beschreibt Günther Illert (13), der Gründer des Beraternetzwerk die Kooperation mit Business France.
"Aufgrund der Breite der Fachbereiche, die wir abdecken, und der Tiefe der Expertisen unserer Partner im französischen und im deutschen Gesundheitsmarkt, können wir die Innovationspotentiale neuer Produkte besonders gut einschätzen und marktspezifisch die erfolgreichsten Zugangswege entwickeln“, ergänzt Dr. Xavier Frapaise (14), Partner des Chapters Frankreich überzeugt.
In Frankreich erfolgreich! In Deutschland auch!
Französische Unternehmen können mit ihren Versorgungslösungen oder Prozessoptimierungen im stationären Bereich, in der Rehabilitation oder in Diagnostik und Therapie überzeugen, wenn sie z. B. die Versorgungsqualität verbessern, die Belastungen der Fachkräfte durch überbordende Bürokratie abmildern oder die Versorgungsengpässe im ländlichen Raum durch Telemonitoring lindern. Die Partner der Healthcare Shapers, die in Düsseldorf beim Kick-off dabei waren, Rob Göring (15), Willem van den Dool (16), Rainer Herzog (17) und Ulrich Schwanke (19) werden in den kommenden Monaten ihre Kontakte und Expertisen nutzen, sich mit weiteren Partner aus dem Netzwerk in agilen Beratungsteams organisieren, um die französischen Unternehmen im Rahmen des Guided Market Entry (19) beim erfolgreichem Markteintritt in Deutschland zu begleiten.
Quellen
- Pressemeldung Kick-off French Healthcare Booster Germany https://www.pressebox.de/pressemitteilung/healthcare-shapers/French-Healthcare-Booster-Germany-2024-startet/boxid/1190882
- Einladungs-Flyer FHBG https://extranet-btob.businessfrance.fr/prg-39693/
- Dr. Ursula Kramer, sanawork
- G-BA – Gemeinsamer Bundesausschuss https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/selbstverwaltung/gemeinsamer-bundesausschuss
- DiGA-Fast Track https://diga.bfarm.de/de/diga-hersteller
- Zahl der Krankenkassen in Deutschland https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/kv_grundprinzipien/alle_gesetzlichen_krankenkassen/alle_gesetzlichen_krankenkassen.jsp
- Private Krankenkassen in Deutschland 2024 https://www.krankenkassen.de/private-krankenversicherung/pkv-liste/
- VBHC in Deutschland. Report TU Berlin, 2021 https://www.static.tu.berlin/fileadmin/www/10002433/Lehre/VBHC/TU_VALUE_BASED_HEALTHCARE_REPORT.pdf
- Deutschland im europäischen Vergleich https://www.gematik.de/telematikinfrastruktur/transparenz/digitale-gesundheit-in-europa
- DigitalRadar Krankenhaus https://www.digitalradar-krankenhaus.de/
- DigiG https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze-und-verordnungen/guv-20-lp/digig
- Frankreich Diigtal Health Initiative https://gnius.esante.gouv.fr/en/ehealth-acceleration-strategy
- Günther Illert https://www.healthcareshapers.com/members/guenther-illert
- Dr. Xavier Frapaise https://www.healthcareshapers.com/members/dr-xavier-frapaise
- Rob Göring https://www.healthcareshapers.com/members/rob-goering
- Willem van den Dool https://www.healthcareshapers.com/members/willem-van-den-dool
- Rainer Herzog https://www.healthcareshapers.com/members/rainer-herzog
- Ulrich Schwanke https://www.healthcareshapers.com/members/ulrich-schwanke
- Guide Market Entry Healthcare Shapers https://www.healthcareshapers.com/guided-market-entry-french-startups
Autoren des Beitrags
Dr. Ursula Kramer
Günther Illert
Günther Illert is a Strategy Coach. He organises and facilitates strategy dialogues with executives, teams, and organizations to solve complex and burning issues. With his strategic outside perspective, he advises, creates alignment, and catalyses change.