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DiGA-Qualitätsvergleich: Was bringt die neue abEM?

Qualitätswettbewerb DiGA: Live Talk zur anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung

Wo stehen wir in der Versorgung nach mehr als 4 Jahren mit den digitalen Anwendungen auf Rezept, den sog. DiGAs? Braucht es neue Maßnahmen, um die Qualität der digitalen Tools im Versorgungskontext besser einschätzen zu können? Ist es notwendig, die Qualität der DiGAs vergleichend darzustellen, um Verordnern und Nutzern bei der Auswahl zu helfen? 

Beim LiveTalk der Healthcare Shapers haben wir mit DiGA-Experten über die neue, anwendungsbegleitende Erfolgsmessung für DiGAs (1) diskutiert und gefragt, was sie sich von den neuen Daten erwarten, was die neue Maßnahme für den Markt, die Hersteller sowie die Anwender bringt, welche neuen Erkenntnisse generiert werden, um die Qualität von DiGAs unter Versorgungsbedingungen besser einschätzen zu können?

Die drei Experten kennen den DiGA-Markt von der ersten Stunde: Natalie Gladkov vom Branchenverband BVMed (2), Gregor Jelen, CEO der Beratungsfirma HEPICC (3) und Dr. Ursula Kramer CEO von sanawork (4), die im Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung DNVF seit vielen Jahren wissenschaftliche Fragen der Evaluation und Implementierung von digitalen Interventionen in der AG Digital Health mit anderen Versorgungsforschern interdisziplinär bearbeitet (5).

Mit großen Hoffnungen gestartet: Der DiGA-Markt 

Kaum ein Markt ist mit so viel positiver Aufbruchstimmung gestartet, wie der Markt der Digitalen Gesundheitsanwendungen. Seit Oktober 2020 gibt es Apps auf Rezept in Deutschland (6), der Start des weltweit ersten Verordnungsmarktes für digitale Anwendungen, der rund 73 Mio. gesetzlich Versicherte in Deutschland adressiert, hat viele Investoren angelockt. Freie Preisgestaltung für die Hersteller, volle Erstattung von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen bereits in der Phase der klinischen Erprobung – das klang nach Hersteller-Eldorado?

Langes Warten auf den "Goldregen"

Heute, vier Jahre später wissen wir: Der Aufwand für den Marktzugang war und ist größer, als ursprünglich angenommen, die Akzeptanz von DiGAs bei Kostenträgern und Therapeuten immer noch zurückhaltend, und der große Run der Patienten auf die Gesundheitsapps auf Rezept ist weitgehend ausgeblieben. Die nüchterne Erkenntnis: Auch wer im "DiGA-Olymp" angekommen ist, d. h. im Verzeichnis des BfArM erfolgreich gelistet ist, wird damit nicht zwingend wirtschaftlich erfolgreich.
Heute sind rund 40 DiGAs dauerhaft gelistet (6), mit randomisierten, kontrollierten klinischen Studien, sog. RCT-Studien, haben sie das BfArM von ihrem medizinischen Nutzen überzeugt. Ihr durchschnittlicher Preis liegt bei rund 250 Euro für eine 90-Tage-Therapie. Das derzeitige Angebot konzentriert sich sehr stark auf die sog. F.-Diagnosen, d. h. Apps zur kognitiven Verhaltenstherapie bei psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen, sie stellen heute mehr als die Hälfte aller dauerhaft gelisteten DiGAs (22 von 40, Stand 18.03.2025)). Es gibt noch immer wenige Angebote für die großen Volkskrankheiten wie Hypertonie und Diabetes und die Nachfrage nach DiGAs ist insgesamt eher verhalten. 

"Der Markt der DiGA-Verordnungen hat ein Volumen von ca. 100 Mio. € erreicht – verglichen mit dem gesamten GKV-Markt von rund 326 Mrd. € ist das ein "digitaler Tropfen" auf den heißen Stein,“ so Natalie Gladkov vom Branchenverband BVMed.

DiGA- was läuft schief und warum braucht es jetzt eine "Erfolgsmessung"?

Eine DiGA liefert gemäß Definition §33a DVG einen "digital-only"-Ansatz und wird auch so evaluiert, d. h. sie muss „digital“ funktionieren, ganz ohne Zutun der Therapeuten. Sie lässt sie auch ganz ohne Therapeuten direkt über die Krankenkasse beziehen. Was es braucht, ist eine vom Arzt bestätigte Diagnose – mehr nicht. 
In der Praxis hat dieser „digital-only“-Ansatz viel Misstrauen und Widerstand geschürt: „Zu schwache Evidenz, zu hohe Preise, wir bezahlen nur für DiGAs, die auch genutzt werden…(7)“, so das Mantra von Kassenvertretern und Leistungserbringern seit Start des DiGA-Marktes.

In Studien wirksam – unter Versorgungsbedingungen auch?

Und hier setzt sie an, die neue anwendungsbegleitende Erfolgsmessung (SGB V, §139 e), die für alle dauerhaft gelisteten DiGAs bald verpflichtet eingeführt werden soll. Das BfArM bekommt im ersten Schritt Daten über die tatsächliche Nutzung und im zweiten und dritten Schritt sollen durch Befragung der DiGA-Nutzer Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie zufrieden die Anwender mit einer DiGA sind, und schließlich auch, wie sich die DiGA auf Therapieziele, sog. Outcomes auswirken. Dieses Informationen sollen in die Preisgestaltung einfließen. Die Vergütung soll zu 20 Prozent erfolgsabhängig gestaltet werden, so steht es im Referentenentwurf (1), der das Verfahren des Qualitätswettbewerb regeln soll.
 

Prozesse der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung gemäß Referentenentwurf 2. DiGAV ÄndV, 13.12.2024

Abbildung: Prozesse der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung für dauerhaft gelistete DiGAs gemäß Referentenentwurf zur 2. DiGAV ÄndV vom 13.12.2024 (12).


Die im letzten Jahr noch diskutierte, 2-wöchige, kostenlose Testphase für DiGAs ist vom Tisch. Stattdessen sollen DiGAs unter Versorgungsbedingungen im Hinblick auf Nutzung und Nutzungserfolg verglichen werden,“ erklärt Dr. Ursula Kramer. „Diese anwendungsbegleitende Erfolgsmessung ist in drei Stufen aufgebaut. Zunächst liefern die Hersteller Daten zur Nutzung ihrer DiGAs an das BfArM. Wie häufig, wie intensiv, wie lange werden sie genutzt, wann bricht der Nutzer ab? Betrachtet wird das für alle DiGAs über einen Anwendungszeitraum von 90 Tagen. Die Fragen sind unabhängig von der Indikation für alle DiGAs gleich. Erst in der 3. Phase sollen dann medizinischen Outcome-Parameter mit indikationsspezifischen Messinstrumenten erfasst werden.“ 

Aber was sagen diese Daten aus, wenn man nicht parallel auch die Gründe erfasst, die zu einem vorzeitigen Abbruch führen oder zu einer besonders intensiven Nutzung? Und was kann man erwarten, wenn alle DiGAs in einen Topf geworfen werden, Raucherentwöhnungs-Apps, Depressions-Apps, Apps für Brustkrebs-Patientinnen? Viel Nutzung ist gut, wenig Nutzung ist schlecht? Vermutlich greift das zu kurz. Denn wie viele Impulse ein Nutzer braucht, um Verhalten zu erlernen, zu verinnerlichen und dann umzusetzen, das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Darunter sind versorgungsbezogene Faktoren - wie sieht die Therapie insgesamt aus? Und dann zählen auch patientenspezifische Faktoren: Wie gut ist die individuelle Gesundheitskompetenz, wie hoch die Selbstwirksamkeitserwartung, wie ist die Progression des Krankheitsverlaufes, welche Begleiterkrankungen überlagern die App-Nutzung. Und nicht zuletzt zählt auch, wie gut der Therapeut die digitale Therapie im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes unterstützt?

Keiner will die abEM – warum kommt sie dann?

Die abEM will niemand, die Hersteller nicht und auch nicht der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen“, betont Natalie Gladkov, Digital-Expertin beim BVMed. Sie kennt die Perspektive von Herstellern, die Software als Medizinprodukte, sog. SaMDs (Software as Medical Device) entwickeln und vertreiben. Sie hat die Rahmenvereinbarungen von GKV-Spitzenverband und den Verbänden der Hersteller mitverhandelt. „Wir haben in den Rahmenvereinbarungen zur Preisverhandlung viele Möglichkeiten, die Qualität einer DiGA zu untermauern. Die Hersteller wissen selbst am besten, wie sie die Qualität der eigenen DiGA im Marktumfeld belegen und deren USP unterstreichen,“ ist sie überzeugt.
Wenn es nicht die Krankenkassen und auch nicht die Herstellerverbände sind, wer treibt dann das Konzept der abEM, so die Frage aus dem Teilnehmerkreis beim HCS Live-Talk? "Vermutlich die Politik," glaubt Gladkov. Nach dem weltweit großen Interesse am Digitale-Versorgung-Gesetz und dem DiGA-Fast Track für digitale Innovationen wolle man jetzt vermutlich auch international mit einem Konzept zur Evidenzgenerierung im Versorgungskontext glänzen und eine Blaupause liefern, wie man die qualitätsbasierte Vergütung von digitalen Versorgungslösungen gestalten könne. Der eher kleine Markt der digitalen Anwendungen sei möglicherweise eine Art Test-Markt, um auf Basis der Erkenntnisse auch Maßnahmen für andere, größere Märkte ableiten zu können.

Mit abEM wird es noch schwerer für DiGAs!

Karl Sydow von Pharma Deutschland (8), dem mitgliederstärksten Pharmaverband Deutschlands, meldet sich zu Wort und beklagt die Anforderungen an DiGAs, die heute schon sehr hoch seien. Nach seiner Einschätzung werde mit der abEM jetzt eine Scheinevidenz eingefordert, um Preissenkungen zu rechtfertigen. Dazu werde man Daten aus der neuen abEM heranziehen, die im Grunde nicht interpretierbar und damit nutzlos seien. Die Einführung der abEM mit den zusätzlichen Auflagen für Hersteller bremse die Entwicklung neuer DiGAs. Auf der anderen Seite würden Krankenkassen Wagniskapital einsetzen, um eigene Apps anzubieten, auch wenn diese z. T. nicht einmal CE-zertifiziert seien. „Das empfinde ich als scheinheilige Debatte.“
Nikolai Engel (9), Interim Manager und Partner der Healthcare Shapers, sieht in der neuen abEM ein "Bürokratiemonster". Man könne Herstellern heute vermutlich nicht mehr empfehlen, eine DiGA zu bauen und er findet es unverständlich, dass man diese Tools überhaupt gesondert abrechne. Schließlich werden sie zur Unterstützung im Rahmen eines Therapiekonzeptes genutzt und helfen Therapeuten dabei, Patienten aufzuklären, sie zu aktivieren und zum Selbstmanagement anzuleiten. „Der Arzt spart Zeit in der Aufklärung und in der Führung seiner Patienten und bekommt bessere Therapieadhärenz.“
Das ist genau das Problem der DiGAs,“ betont Natalie Gladkov. 

"DiGAs werden als Solitäre betrachtet, die ihren medizinischen Nutzen isoliert nachweisen müssen, d. h. es gibt streng genommen gar keinen Versorgungskontext." 

Auch die patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserungen, die man als Nutzendimension von DiGAs im Marktzugangsweg neu definiert habe, seien komplett untergegangen. „Dass ein Patient schneller behandelt werden kann, dass sich Wege verkürzen und mit der DiGA Zeit eingespart wird, dass die Adhärenz für eine Therapie steigt, das alles findet in der jetzigen Evidenzbetrachtung leider keine Berücksichtigung mehr,“ beklagt Gladkov.
An die Evaluation der patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserung haben sich die Hersteller nicht herangetraut. Kein Wunder, denn für diese neuen Nutzendimensionen gibt es zum Teil keine validierten Messinstrumente (10), das Risiko ist daher hoch, beim BfArM damit zu scheitern,“ erklärt Dr. Ursula Kramer aus Sicht der Versorgungsforschung.
Jetzt will man im neuen Digitalgesetz nachbessern, die DiGAs besser im Versorgungskontext integrieren und sie dazu auch als Bausteine im Telemonitoring zulassen sowie als Anwendungen, die stärker in die Therapie eingreifen und damit als Medizinprodukte höherer Risikoklassen (2b) klassifiziert werden. Aber dadurch wird der Nutzennachweis noch schwieriger, die Risiken, zu scheitern, werden noch höher,“ gibt Gladkov zu bedenken.

Eine DiGA entwickeln – lohnt sich das denn noch?

Dr. Alexander Schröder (11), Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers und Teilnehmer beim HCS Live-Talk, wirft die Frage auf, wie die Experten den DiGA-Markt generell einschätzen, ob sich das noch lohne? Man müsse hier differenzieren, erklärt Gregor Jelen. „Das eine sind die digitalen Medizinprodukte als neue Therapiebausteine, das andere sind die verschiedenen, regulatorischen Marktzugangsoptionen. Der DiGA-Weg gemäß §33a SGB V ist nur ein Weg, den Hersteller medizinischer Software gehen können. Daneben gibt es die Selektivverträge, die man mit einzelnen Kassen abschließen kann, oder auch den Weg über Innofonds-Projekte oder besondere Versorgungsformen,“ so der Experte.
Mit dem DiGA-Fast-Track sollte es schneller gehen, mühsame Verhandlungen mit jeder einzelnen Kasse sollten abgekürzt werden und so den Markteintritt beschleunigen. „So richtig schnell ist der Weg allerdings nicht mehr, die Spanne für den Nachweis des medizinischen Nutzens dehnt sich immer weiter aus, die zwei Jahre sind mittlerweile nicht mehr zu halten, auch bei der Terminvergabe für DiGA-Beratungen beim BfArM muss man mit langen Vorlaufzeiten rechnen,“ so Jelen.
Es kann durchaus auch Sinn machen, nicht direkt mit dem DiGA-Fast Track zu starten, sondern die Evaluation in Selektivverträgen voranzutreiben. Die frühe Einbindung der Perspektiven von Kassen und Therapeuten schafft Akzeptanz, um dann im 2. Schritt den DiGA-Weg mit mehr Rückenwind zu gehen,“ regt Dr. Ursula Kramer an und nennt als Beispiel eCovery (10), die seit Ende letzten Jahres mit ihrer App als DiGA vorläufig gelistet sind.
Obwohl es einen DiGA-Leitfaden (13) gäbe und man in über vier Jahren viel Erfahrung mit den Prozessen gesammelt habe, seien die Unwägbarkeiten für die Hersteller immer noch groß. „Bei Streichungen aus dem Verzeichnis oder durch Absenken der ursprünglichen Vergütungsbeträge nach der dauerhaften Listung drohen hohe Rückzahlungen (14), die Unternehmen in die Insolvenz treiben. Und die Unsicherheit darüber, was das BfAM wirklich zulässt und was nicht, bleibt weiter groß. Nur bedingt lassen sich Erkenntnisse von bestehenden Listungen auf neue DiGAs ableiten. Damit bleiben Investitionen in DiGAs riskant und schwierig für die Hersteller,“ so die Einschätzung von Gladkov.

Wirtschaftlich erfolgreich mit der „richtigen“ DiGA-Indikation 

Ein weiteres Problem, das der Vertriebsexperte Marcus Bergler (15) zur Diskussion stellt, sei die starke Fokussierung vieler Hersteller auf die Listung selbst und die Vernachlässigung der Vertriebsstrategie. Was von Anfang essentiell sei für den wirtschaftlichen Erfolg einer DiGA, sei die Wahl der „richtigen“ DiGA-Indikation und diese hänge von vier Faktoren ab:

  1. Gibt es in der potenziellen DiGA-Indikation einen relevanten „Unmet Need“ auf Seiten der Patienten? Wie hoch ist der Leidensdruck der Nutzerzielgruppe? Hypertonie oder Typ-2 Diabetes seien demnach keine guten DiGA-Indikationen, der Patient spüre lange Zeit nichts von seiner Erkrankung.
  2. Funktioniert der „digital-mode-of action“ in der DiGA-Indikation zuverlässig, d. h., lässt sich durch das digitale Angebot spürbar und rasch eine Symptomverbesserung bei den Nutzern erzielen?
  3. Verordnerzielgruppe: Ist die Facharztgruppe klein, die die DiGA auf Rezept verordnet, d. h. gut erreichbar für den Außendienst und mit wenig Streuverlusten einfach erreichbar mit Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen? Indikationen, die hauptsächlich von den rund 60.000 Hausärzten behandelt werden, seinen keine gute Wahl als DiGA-Indikation. Die erforderlichen Vertriebsbudgets seien zu hoch für den durchschnittlich erzielbaren DiGA-Preis.
  4. Ist die Indikation der DiGA kommunizierbar, d. h. braucht es wenig Überzeugungsarbeit beim Verordner, um Patienten auf eine DiGA anzusprechen? Sucht oder gar Tabuthemen seien schwierig als DiGA-Indikationen.

Außerdem wissen wir mittlerweile, dass DiGAs besonders bei Frauen gut ankommen (13), Frauen sind gesundheitsaffin, motivierbar, aktiv, so dass man auch diesen Aspekt bei der Wahl einer „DiGA-Indikation mit Erfolgspotential“ mitdenken sollte. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass z. B. Bluthochdruck keine DiGA-Erfolgs-Indikation ist, die überaktive Blase oder eine App zur Therapie der Endometriose schon,“ ist Marcus Bergler überzeugt.

Wo steht die abEM auf der Prioritäten-Liste von DiGA-Herstellern?

Auch wenn die abEM in Kürze verpflichtend sein wird, hat sie bei den Herstellern im Moment nicht die höchste Prio, die erste Daten müssen 10/2026 geliefert werden und die Hersteller kämpfen aktuell mit anderen Themen, z. B. den Sicherheitszertifikaten (17),“  so die Einschätzung von Gregor Jelen. Er sieht weitere Belastungen durch die abEM auf die Hersteller zukommen, es brauche neue Prozesse, um die Daten aus der abEM zu erfassen und ans BfArM auszuliefern und noch viel Abstimmung diesbezüglich mit BfArM und Krankenkassen. „

Abhängig von den Ergebnissen drohen schlimmstenfalls 20 Prozent Abschlag auf den DiGA-Preis. Damit verliert das DiGA-Konzept für Investoren weiter an Attraktivität, knapp gerechnete Business Cases fallen gar vollständig durchs Raster,“ so die Einschätzung von Gregor Jelen.

abEM - was sagen die Daten über die Qualität einer DiGA aus? 

Aus der Perspektive der Versorgungsforschung liefere die abEM nicht die Daten, die es für einen echten Qualitätswettbewerb brauche, fasst Dr. Ursula Kramer die Kommentierung zusammen, die sie mit einer interdisziplinären Gruppe von Versorgungsforschern aus dem Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung DNVF entwickelt hat (18): 

  1. Die bloße DiGA-Nutzung ist ohne weiteren Kontext kein Qualitätsmerkmal. Die Daten erlauben keinen Rückschluss darüber, warum die App über den erforderlichen Nutzungsdauer hinweg angewendet oder vorzeitig abgebrochen wurde und wie das mit dem Therapieerfolg, d. h. dem medizinischen Nutzen der App, zusammenhängt.
  2. Ohne eine Vergleichsgruppe sind die Ergebnisse hochverzerrt und lassen keine Rückschlüsse zu, wie die DiGA die Outcomes verändert. Was hat sich durch die DiGA verbessert, was durch andere Faktoren der Begleittherapie, das lässt sich mit dem methodisch vorgeschlagenen Konzept nicht differenzieren.
  3. Der Nutzer schätzt retrospektiv ein, wie sich der Gesundheitszustand durch Nutzung der App verbessert hat, damit ist per se ein Recall-Bias verbunden. Die Abfrage erfolgt innerhalb der App sieben Tage vor Ende des 90-tägigen Nutzungszeitraums. Das bedeutet, dass es von Nutzern, die vorzeitig abbrechen, keine Daten geben wird, und nur Nutzer berücksichtigt werden, die bis zum Schluss „durchhalten“ und dann bereit sind, an der freiwilligen Befragung teilzunehmen. Auch das verzerrt die Ergebnisse.

"Mit der abEM bekommen wir höchstens ein vergleichendes Benchmarking der DiGA-Nutzung über alle Indikationen hinweg, mehr nicht," so die Einschätzung von Dr. Ursula Kramer.

Warum fordert man die abEM gerade bei DiGAs?

Wenn man die Absicht hat, mit den Ergebnissen der abEM Kosten einzusparen, ist der DiGA-Markt nicht wirklich lohnend. Mit einem Volumen von ca. 100 Mio. Euro gegenüber rund 326 Mrd. im gesamten GKV-Markt, ist der DiGA-Markt winzig. „Natürlich liegt es bei digitalen Therapieprodukten nahe, dass man Daten nutzen will, um Rückschlüsse auf den Therapieerfolg zu ziehen,“ so Natalie Gladkov. Gerade bei Versorgungsforschern wecke das den Wunsch, möglichst viele Aspekte in die Befragung der Nutzer hineinzupacken, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. „Am Schluss bremst uns die Machbarkeit ein und zwingt zu Pragmatismus in der Umsetzung, d. h. es läuft auf möglichst wenige Fragen heraus, um Responseraten nicht zu schmälern und den Aufwand in der Umsetzung überschaubar zu halten. So erklärt sich die Ausgestaltung des abEM-Konzeptes, wie es jetzt im Referentenentwurf zur Diskussion gestellt worden ist,“ erklärt Natalie Gladkov.

Kommt die abEM für DiGA?

Nach der Wahrscheinlichkeit gefragt, mit der die neue Maßnahme für DiGAs kommen wird, geben die Experten auf einer Skala von 0 - kommt unverändert - bis 10 - kommt nicht - abschließend ihre Einschätzung ab:

  • Ich würde eine 2 vermuten, d. h. die abEM wird kommen, weil sie politisch gewollt ist und nicht zustimmungspflichtig ist im Bundesrat. Die Änderungsverordnung wurde von vielen Fachverbänden kommentiert. Man wird vielleicht die eine oder andere Ändergung aus den Kommentierungen aufgreifen, und dann aber die abEM einführen und Erfahrungen mit dem neuen Prozessen sammeln,“ so das Fazit von Gladkov.
  • Anders als beim Bürokratiemonster Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz wird es wohl politisch niemand geben, der bei der abEM für DiGAs noch auf die Bremse drückt, sie kommt ganz bestimmt,“ so die Einschätzung von Gregor Jelen.
  • Warum denkt man nicht über neue methodische Möglichkeiten und neue Datenquelle nach, um unter Versorgungsbedingungen mehr Evidenz zu generieren? Bald gibt es die ePA für alle in der Breite, DiGAs sind interoperabel konzipiert, sie haben eine Schnittstelle zur ePA und werden perspektivisch auch per e-Rezept verordnet. Es gibt also Möglichkeiten, Nutzungsdaten aus DiGAs mit den medizinischen Outcomes der Nutzer in Beziehung zu setzen. Neue KI-Tools in der Datenauswertung entwickeln sich sehr dynamisch. Die jetzigen Vorschläge zur abEM gehen bis ins Jahr 01/2028, ohne dies alles zu berücksichtigen, warum... “, wundert sich Dr. Ursula Kramer.

Vielen Dank an Natalie Gladkov, Gregor Jelen und Dr. Ursula Kramer und an alle anderen Teilnehmer für die spannende Diskussion. Beim Live-Talk der Healthcare Shapers zum Thema "Qualitätswettbewerb DiGA" haben wir Einschätzungen ausgetauscht zum erwarteten Aufwand, der Aussagekraft der Daten und dem Impact der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung auf Evidenzgenerierung und Marktdynamik. Die abEM ist eine neue Maßnahme, die auf alle Hersteller zukommt, deren DiGA dauerhaft im Verzeichnis des BfArM gelistet ist. Danke auch an Günther Illert für die souveräne Moderation.

Quellen:

  1. Referentenentwurf 2. Verordnung zur Änderunge der Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung. Stand: 03.01.2025 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/D/2._DiGAV_AendV_RefE.pdf
  2. Natalie Gladkov. Leiterin Referat Digitale Medizinprodukte, BVMed  https://www.bvmed.de/verband/geschaeftsstelle/person-gladkov/cv-natalie-gladkov
  3. Gregor Jelen, HEPICC GmbH  https://digitalplushealth.de/
  4. Dr. Ursula Kramer, sanawork GmbH https://www.sanawork.de/de/ueber-uns.html
  5. Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung DNVF, AG Digital Health https://dnvf.de/gruppen/ag-digital-health.html
  6. BfArM DiGA-Verzeichnis  https://diga.bfarm.de/de
  7. DiGA-Bericht GKV-Spitzenverband, 2022. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf
  8. Karl Sydow, Pharma Deutschland https://www.linkedin.com/in/karl-sydow-1595aab8/  
  9. Nikolai Engel https://www.linkedin.com/in/nikolai-engel-2697521/  
  10. Scheibe Madlen et al. 2023. Outcome domains and measurement instruments of patient-relevant improvement of structure and processes as a new set of outcomes for evaluating and approving digital health applications: systematic review. Discov Health Systems 2, 33 (2023)  https://link.springer.com/article/10.1007/s44250-023-00046-6
  11. Dr. Alexander Schröder https://www.linkedin.com/in/alexandergwschroeder/
  12. eCovery - https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis?search=ecovery
  13. DiGA Leitfaden (Stand: 28.12.2023; Vers. 3.5) https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medizinprodukte/diga_leitfaden.html
  14. Nächster DiGA-Hersteller meldet Insolvenz an. Ärzte Zeitung 29.05.2023. https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Naechster-DiGA-Hersteller-meldet-Insolvenz-an-439734.html
  15. Marcus Bergler https://www.linkedin.com/in/mbergler/
  16. Barmer-Bericht: Frauen nutzen digitale Gesundheitsanwendungen besonders häufig https://www.heise.de/news/Barmer-Bericht-Frauen-nutzen-digitale-Gesundheitsanwendungen-besonders-haeufig-9640590.html
  17. Nachweis über Datensicherheit: BSI TR-03161 für DiGA- & DiPA-Hersteller ab 2025 verpflichtend https://www.tuvit.de/de/aktuelles/newsroom/news/news-detail/article/nachweis-ueber-datensicherheit-bsi-tr-03161-fuer-diga-dipa-hersteller-ab-2025-verpflichtend/
  18. STELLUNGNAHME Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung zum
    Referentenentwurf der 2. DiGAV ÄndV vom 13.12.2024
    erarbeitet durch die DNVF AG Digital Health https://dnvf.de/files/theme_files/pdf/PDF-Stellungnahme/25/250128_DNVF_Kommentierung_DIGAV_abEM_final.pdf

 

Autoren des Beitrags

Dr. Ursula Kramer

Ursula Kramer is a Digital Health Expert who advises companies on successfully placing their innovations in the healthcare market, establishing sustainable business models for small and medium-sized pharmaceutical and medtech companies as well as for Startups.

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