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Apotheke 2023 - Neue Handlungsfelder

Apotheke 2030 - Neue Handlungsfelder

Mit welchen Handlungsfeldern können sich Apotheken für die Zukunft als Vorreiter ihrer Branche positionieren? Wie können sie die Herausforderungen, die sich durch abnehmende Versorgungskapazitäten in den Apotheken bei gleichzeitig wachsendem Versorgungsbedarf einer alternden Gesellschaft mit eingeschränkter digitaler Teilhabe begegnen? Die beiden Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers, Tim Bogdan und Matthias Steinberger, zeigen in diesem Beitrag (2. Teil der Serie) Lösungsansätze auf. Damit wollen sie Impulse geben, um langfristige Bindungen zu Patienten und Pflegeunternehmen aufzubauen und die nachhaltige Zusammenarbeit zu fördern.

„Apotheken müssen in Zukunft Patienten ganzheitlich sehen - das gilt nicht nur auf Basis der holistischen Beratungsleistung auf dem Pharmazie- und Medizinsektor, sondern richtet sich auch an den Bereich der Pflege, also geriatrische, multimorbide Menschen.“

 Christiane Sauret (Pharmazie- und Pflege-Expertin, Apothekencoach)

 

Handlungsfelder der Apotheke von morgen 

Abb. 1: Apotheke 2030: Handlungsfelder Zukunft Apotheke auf 3 Ebenen: Serviceebene, Prozessebene und Infrastruktur

Abb. 1: Apotheke 2030: Handlungsfelder Zukunft Apotheke auf 3 Ebenen: Serviceebene, Prozessebene und Infrastruktur

 

Apotheken als Patientenlotsen

Apotheke als Koordinations- & Anlaufpunkt

Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass Patienten die Apotheke als niedrigschwelligen Anlaufpunkt für Fragestellungen nutzen, die über das typische Beratungsspektrum der Apotheke hinausgehen. Die Apotheke kann sich hier als zentralen Koordinations- und Anlaufpunkt entwickeln und dabei digitale Begleitlösungen, wie Chatbots, einführen. Neben der lokalen Unterstützung können solche Lösungen auch online auf der Apothekenwebsite zur Verfügung stehen, um Fragen auch außerhalb der Öffnungszeiten zu beantworten und Termine vor Ort zu koordinieren. Dies stärkt die Bindung zwischen Patienten und Apotheken und positioniert diese als ganzheitliche Gesundheitspartner. Anbieter-Beispiele: DOCYET (1), Resilience Digital Solutions (2), No-Q Digital Health Solutions (3).

Gesundheitstests

Apotheken können durch Gesundheitstests, entweder direkt vor Ort oder auf Basis von Selbsttests für zuhause, detaillierte Ersteinschätzungen für Patienten ermöglichen. Diese Tests tragen gezielt dazu bei, die Beratung zu vertiefen und Patienten anschließend zu den richtigen Leistungserbringern lotsen zu können. Insbesondere für die Angehörigen von Patienten in der häuslichen Pflege kann dies eine großartige Ergänzung sein, welche das Angebot der Apotheke optimal erweitert. Anbieter-Beispiele: cerascreen (4), DasLab (5), PremaLabs Diagnostics (6), Probatix (7), Remi Health (8).

Profilierung durch mehr pharmazeutische Beratung 

Pharmazeutische Dienstleistungen (pDL)

Apotheken können sich durch pharmazeutische Dienstleistungen, wie vergütete Medikationschecks oder die Verblisterung von Medikamenten, differenzieren. Auch pilotieren erste Apotheken mit alternativen bisher noch nicht erstattbaren pharmazeutischen Dienstleistungen, wie zum Beispiel dem “Pille-Danach–Lotsen” (19), bestehend aus einem vorgelagerten Webseiten-Chatbot und einer vereinbarten pharmazeutischen Beratung vor Ort in der Apotheke. Pharmazeutische Dienstleistungen fördern nicht nur die Arzneimittelsicherheit, sondern tragen auch dazu bei, dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken und die Kundenbindung zu stärken. Anbieter-Beispiele: hellomed.com (10).

Telepharmazie

Die Telepharmazie, vorangetrieben durch Reformen wie das Digitalgesetz (DigiG) (11) oder die Neuerungen um das e-Rezept, ermöglicht es Apothekern, Patienten ortsunabhängig per Video zu beraten. Zukünftig könnte in der häuslichen Pflege auch Pflegepersonal geräteunterstützt und digital von zugeschalteten Apothekern angeleitet werden (zum Beispiel bei Checks oder Monitoring) oder Patienten auf Reisen pharmazeutisch beraten werden. Dieser Ansatz kann das Leistungsspektrum von Apotheken erheblich erweitern und neue Mehrwertmodelle für Patienten schaffen. Anbieter-Beispiele: arztkonsultation (12).

Kernprozesse optimieren

Hybride Kundeninteraktion

Apotheken können Erfahrungen aus dem Einzelhandel nutzen und eine Multichannel-Strategie implementieren. Dies beinhaltet bessere Kundeninteraktionen vor Ort, Online-Termine, -Fragebögen oder Anwendungen zur Vorbestellung. Eine hybride Kundeninteraktion entlastet Patienten, beschleunigt alle Prozesse mit den Patienten und steigert die Marge der Apotheken. Anbieter-Beispiele: No-Q Digital Health Solutions (13), gesund.de (14)

Personalisierte Beschaffung

Der 3D-Druck von Medikamenten bietet Lösungen für Herausforderungen wie Arzneimittelknappheit und individualisierte Medikation. Apotheken können durch den Einsatz von 3D-Druckern personalisierte Arzneimittel für Patienten herstellen und danach individuelle Beratungsgespräche führen. Anbieter-Beispiele: DiHeSys - Digital Health Systems (15).

Belieferungsmodelle

Innovative Liefermodelle, darunter Last-Mile- oder Same-Day-Delivery-Anbieter, bieten Alternativen zu eigenen Botendiensten, helfen Kosten zu senken und Patienten zeitnah zu beliefern. Diese setzen dabei auf lückenlose Temperaturmessung beim Kühlversand oder interoperable Datenschnittstellen, um verschiedene Use Cases und Anforderungen effizient zu bedienen. Erste Apotheken experimentieren zudem bereits mit Drohnenlieferungen per App, um in Notfällen oder bei weniger mobilen Patienten in Gebieten mit schwacher Infrastruktur schnell zu liefern (16). Ein weiterer Ansatz sind smarte Click & Collect-Automaten, um Kundenbedürfnisse außerhalb der Öffnungszeiten 24/7 zu bedienen. Anbieter-Beispiele: Angel (17), GO! (18), MAYD (19), Omnicell (20).

Abrechnung

Mit einem komplexeren Online- und Offline-Geschäft entsteht der Bedarf an flexibleren Bezahlungs- und Abrechnungsmöglichkeiten. Integrierte Anbieter zur Zahlungsabwicklung für Patienten und Direktabrechnungsoptionen für die Apothekenabrechnung tragen dazu bei, den Cashflow zu erhöhen und unnötige Zusatzprozesse zu vermeiden. Diese Ansätze unterstützen Apotheken im Liquiditätsmangement. Anbieter-Beispiele: Stripe (21), scanacs (22), NOVENTI HealthCare (23).

Optimierung der digitalen Infrastruktur

Die Einführung von eRezept, elektronischer Patientenakte (ePA) und dem Kommunikationsstandard "Kommunikation im Medizinwesen" (KIM) treibt die digitale Transformation in Apotheken voran. Zugänge zu einer externen digitalen Infrastruktur ermöglichen eine verbesserte Datenverfügbarkeit, erhöhen die Patientensicherheit und schaffen Potenziale für neue Services. Gleichzeitig ist eine interne Dateninfrastruktur nötig, um die Daten der Apotheke flexibel an allen nötigen Stellen verfügbar zu machen. Nur so lassen sich neue Angebotsansätze zielführend umsetzen und mit Mehrwert anbieten.

Schnittstellen & Datenzugang

Eine reibungslose Kommunikation und Datenübertragung sind entscheidend für optimierte Apothekenprozesse. Die Wahl von Apothekensoftware mit modernen und zukunftsfähigen Schnittstellen ermöglicht eine höhere Interoperabilität und trägt zur Effizienzsteigerung bei. Außerdem zahlt es laut DigiG (11) evtl. zukünftig auf die Vergütung ein, wenn Leistungserbringer in strukturierte Versorgungsprozesse integriert sind und über die Telematikinfrastruktur (TI) an ePA, e-Rezept und Co. angebunden sind.

Regularien & Datenschutz

Angesichts sich laufend ändernder Gesetze und Datenschutzanforderungen müssen Apotheken stets über aktuelle rechtliche Grundlagen informiert sein. Die Möglichkeit, frühzeitig zu agieren, macht dies zu einem wichtigen Handlungsfeld. Ein starkes Netzwerk und der Zugang zu Experten sind entscheidend, um Potenziale und Risiken frühzeitig zu erkennen und sich erfolgreich für die Zukunft aufzustellen. Auch der Zusammenschluss mit anderen Apotheken kann helfen, hier der Branche stets einen Schritt voraus zu sein.

Fazit und praktische Implikationen

Der Apothekenwandel ist bereits in vollem Gang und ist unaufhaltsam. Die komplexen Kernherausforderungen, denen Apotheken in der Zukunft gegenüberstehen, können jedoch als Chance gesehen werden, langfristige Bindungen zu Patienten und Pflegeunternehmen aufzubauen und gestärkt aus dem Wandel hervorzukommen. Durch eine Spezialisierung auf eines oder mehrere der vorgeschlagenen Handlungsfelder kann sich die Apotheke von Morgen differenzieren.  

Sieben praktische Handlungsempfehlungen

Damit "der Stein ins Rollen kommt", geben Tim Bogdan, Co-Founder von hellomed (24) und Matthias Steinberger, Digital Health Experte, der sich in verschiedenen Netzwerken für mehr Kooperation, Transparenz, Interoperabilität und Innovation in der Gesundheitsversorgung einsetzt (25) auf Basis ihrer Erfahrung sieben praktische Handlungsempfehlungen für Apotheken, die sich zukunftssicher aufstellen wollen:

  1. Verfolgen Sie die gematik-Veranstaltungen aufmerksam. Derzeit gibt es viele Roadshows und Fördermöglichkeiten in Zusammenarbeit mit der gematik (23). Apotheken, die sich gezielt Zeit für solche Veranstaltungen nehmen, insbesondere im Bereich Pflege als Wachstumsfeld (z. B. organisierte TI-Fachveranstaltungen von Organisationen wie dem Kompetenzzentrum Pflege 4.0 oder der gematik selbst), können wertvolles Wissen aus erster Hand aufbauen und einen Schritt voraus sein.
  2. Schließen Sie sich einem Expertennetzwerk an. Es ist hilfreich, progressive Experten aus der Branche (z. B. Healthcare Shapers) kennenzulernen und zu involvieren, um wertvolle Impulse zu Chancen und Risiken auf Ihrem Weg zu erhalten.
  3. Ermöglichen Sie hybride Kundenkommunikation. Neben der Einführung der KIM-Email-Kommunikation sollten auch weiterhin bewährte Kanäle optimiert werden. Eine gut strukturierte Telefonhotline oder sogar ein SMS-Service können insbesondere für ältere Zielgruppen flächendeckend effektiver sein.
  4. Gewährleisten Sie Zugänglichkeit und Einfachheit Ihrer Angebote. Die bloße Digitalisierung analoger Prozesse führt zum Scheitern. Apotheken sollten bereit sein, aktuelle Prozesse und Dienstleistungen zu überdenken, um einen einfacheren Zugang für Patienten zu schaffen. Das oberste Ziel ist es, aktuelle Friktionspunkte zu identifizieren und in den Patientenprozessen zu lösen. Zum Beispiel können ABDA-PDL-Leitfäden (24) für pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) in patientengerechte, leicht verständliche Sprache umformuliert und visuell aufbereitet werden.
  5. Bieten Sie proaktive Patientenbegleitung an. Ein zuvorkommender Kundensupport und Unterstützung beim Ersteinstieg der Patienten sind entscheidend, damit diese sich an die eingeführten, technischen Lösungen herantrauen. Patienten verzeihen oft Fehler in der Anfangsphase, wenn sie sich gut betreut und beraten fühlen.
  6. Beachten Sie Regulierungshürden frühzeitig, In vielen wertvollen Services stecken regulatorische Details. Frühzeitig auf Show-Stopper hinweisen und klären, um Retax-Risiken zu vermeiden. Tipp: Den Apothekerverein direkt kontaktieren.
  7. Setzen Sie den Fokus auf Ihr Qualitätsmanagement. Neue Versorgungsprozesse benötigen von Anfang an starkes Qualitätsmanagement, um erfolgreich zu sein und Fehler in der Versorgung zu verhindern. Es ist wichtig, einfache, konkrete Standard Operating Procedures (SOPs) frühzeitig festzuhalten und kontinuierlich zu optimieren.

Weiter zum Teil 1 "Apotheke 2023 - Herausforderungen und Chancen" oder zum Originalartikel dieses Beitrags in voller Länge.

Quellen

  1. DOCYET, https://www.docyet.com/
  2. Resilience Digital Solutions, https://www.resilo.de/
  3. No-Q Digital Health Solutions, https://www.no-q.info/
  4. cerascreen, https://www.cerascreen.de/
  5. DasLab, https://daslab.health/de
  6. PremaLabs Diagnostics, https://premalabs.de/
  7. Probatix, https://probatix.de/
  8. Remi Health, https://www.myremi.com/
  9. Retter in der Not: Die rezeptfreie „Pille danach“ - Dorf-Apotheke (dorfapotheke.de)
  10. hellomed.com, https://hellomed.com/
  11. Digital-Gesetz (DigiG) - BMG (bundesgesundheitsministerium.de)
  12. arztkonsultation, https://arztkonsultation.de/
  13. No-Q Digital Health Solutions: Übersicht | LinkedIn
  14. gesund.de GmbH & Co. KG: Übersicht | LinkedIn
  15. DiHeSys - Digital Health Systems, https://www.digital-health-systems.com
  16. Drohne liefert Medikamente: Testflüge in Dessau erfolgreich | MDR.DE
  17. Angel, https://angelbringts.de/
  18. GO!, https://www.general-overnight.com/deu_de/
  19. MAYD, https://www.getmayd.com/de-de/
  20. Omnicell, https://www.omnicell.de/
  21. Stripe, https://stripe.com/de
  22. scanacs, https://scanacs.de/
  23. NOVENTI HealthCare, https://www.noventi.healthcare/apotheken/
  24. Tim Bogdan | LinkedIn 
  25. Matthias Steinberger | LinkedIn

Autoren des Beitrags

Matthias Steinberger

Matthias Steinberger is an expert in digital health, strategy, and innovation. Executives and founders work with him to grow their businesses. Besides deep market knowledge and a broad network, he is an experienced startup founder with skills in different roles such as business development, product, project, and marketing.

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Tim Bogdan

Tim Bogdan is a passionate healthtech entrepreneur, company building executive and consultant with more than 10 years of experience in the digital innovation & startup space.

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