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Digitale Reife von Krankenhäusern messen: Objektiv, schnell & ressourcensparend?

Digitale Reife von Krankenhäusern messen: Objektiv, schnell & ressourcensparend?

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) soll die stationären Einrichtungen fit machen für die digitalisierte Versorgung – mehr Qualität, höhere Effizienz, größerer Nutzen für Patienten und Zuweiser durch bessere Nutzung von Behandlungs- und Prozessdaten. Es steht viel Geld im Raum: 4.3 Mrd. Euro umfasst der Fördertopf des Krankenhauszukunftsfonds. Da liegt es auf der Hand, dass der Gesetzgeber wissen will, ob der Einsatz der Mittel in den Häusern zu den gewünschten Ergebnissen führt. Der DigitalRadar (1), von hochkarätigen Experten als Messinstrument entwickelt, soll genau das tun – die Digitalisierungsfortschritte der stationären Einrichtungen qualitativ und quantitativ erfassen und strategische Hilfestellung sein, um Digitalisierungslücken zu erkennen und zu schließen und den digitalen Reifegrad von Krankenhäusern im internationalen Vergleich einzuordnen.

Steckbrief DigitalRadar

  1. Auftraggeber: Bundesministerium für Gesundheit BMG
  2. Konsortiums: inav GmbH, HIMSS Europe GmbH, Lohfert & Lohfert, RWI – Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, Universität St. Gallen – School of Medicine, HIMSS, Inc., Prof. Dr. Sylvia Thun: Entwicklung des Messinstruments und Durchführung der Datenerhebung und Evaluation zur Erfassung des Digitalen Reifegrades von Krankenhäusern: Beauftragung Mai 2021
  3. Pilotphase: 19.08.2021 – 8.09.2021
  4. Datenerhebung: 30.06.2021 (t1) und 30.06.2023 (t2)
  5. Datenerhebungsphase (t1):
    • 5.10.2021: Start der Datenerhebungsphase – Selbsteinschätzung durch die Häuser
    • 17.12.2021: Ende der 1. Datenerhebungsphase

Zwischenbericht

Beschreibung der Entwicklung des Messinstrumentes „DigitalRadar“, Durchführung der ersten Messung (t1), Ergebnisse der ersten Datenerhebung (2):

  • Teilnehmer: 1.624 Krankenhäuser – Verpflichtende Teilnahme für alle Häuser, die Mittel aus dem Krankenhauszukunftsfonds beantragen
    • Durchschnittlicher DigitalRadar Score: 33,3 von 100 Punkten.
      • 70 % zwischen 23 und 44 Punkten.
      • Größere Häuser sind besser digitalisiert als kleine.
      • Vergleichbar stehen auch die Krankenhäuser in den USA, Australien, Kanada (Ontario) noch sehr am Anfang ihrer digitalen Transformation
    • In welcher Dimension schneiden die Häuser am besten ab?
      • Struktur und Systeme
    • In welcher Dimension ist die digitale Reife am geringsten?
      • Patientenpartizipation und Telehealth (private Häuser schneiden hier besser ab!)

Drei Fragen an Dr. Oliver Wagner:

Dr. Oliver Wagner (3), Chirurg und international angesehener Experte für Innovations- und Prozessmanagement im stationären Bereich ist Partner der Healthcare Shapers. Er hat sich intensiv mit dem DigitalRadar beschäftigt, mit dem Verständnis und der Vision von Digitalisierung im Krankenhaus und dem Mehrwert und den Herausforderungen des DigitalRadars im Hinblick auf die KHZG-Förderung.

1. Digitalisierungsfortschritt der Krankenhäuser messen – Wie gut gelingt das im DigitalRadar?

Weil fast jedes Haus Mittel aus dem Fonds beantragt hat, machen fast alle Einrichtung in Deutschland mit an diesem Evaluationsprojekt (n=1.624), und das ist sehr zu begrüßen. In sieben verschiedenen Dimensionen (s. Zwischenbericht) geben die Verantwortlichen der Häuser ihre Einschätzung ab, wo sie zum Zeitpunkt der Erhebung in Sachen Digitalisierung stehen. Der Zwischenbericht mit Ergebnissen der ersten nationalen Reifegradmessung deutscher Krankenhäuser im umfassend und zeigt: Es ist noch viel zu tun. Die Häuser stehen ganz am Anfang mit ihren Digitalisierungsbemühungen. Daher liegt ihr Fokus noch stark auf der internen digitalen Strukturqualität – ob und wie schnell sich dadurch Veränderungen für Patienten oder auch für die Zuweiser im praktischen Versorgungsprozess zeigen werden, bleibt offen. Das Reporting der Häuser im Rahmen der ersten Datenerhebung des DigitalRadars läuft ganz klassisch über Fragebögen und bindet immense Ressourcen, d. h. Zeit und Geld, sowohl durch die Erhebung in den Häusern als auch von Seiten des Konsortiums, das die Vollständigkeit und Richtigkeit der Datenerfassung durch mehrfache Validierungsschleifen sicherstellen will.

2. Digitalen Reifegrad standardisiert erfassen: Wo sind die Knackpunkte?

Die Daten im DigitalRadar sind subjektive Einschätzungen der Verantwortlichen in den Krankenhäusern, die digitale Projekte organisatorisch vorantreiben, das sind in erster Linie die Mitarbeiter aus den IT-Abteilungen. Diese „digitale Nabelschau“ birgt Gefahren. Wenn die in der Patientenversorgung eingebundenen Ärzte und Pflegekräfte kaum mitwirken an der Datenerhebung, wird es schwierig mit der späteren Akzeptanz der Digitalisierungsschritte in den Häusern, die aus den Befragungen abgeleitet werden. Und wenn die Stimme der Patienten und die der zuweisenden Ärzte nicht berücksichtigt wird, läuft man Gefahr, den Digitalisierungsfortschritt an den Patienten vorbeizuentwickeln. Es könnte sein, dass man zu spät merkt, wenn die Needs und Pains der Nutzer nicht adäquat adressiert werden. Weil die Digitalisierung in den Häusern noch ganz am Anfang steht, ist die Expertise für die subjektive Einschätzung im Rahmen der Datenerhebung vielleicht objektivgesehen gar nicht vorhanden, externe Beratungsexpertise hat jedenfalls nur jedes fünfte Haus eingeholt (2).

3. Ressourceneinsatz – Datenverzerrung – Befragungs-Bias? Gibt es bessere Alternativen zur Erfassung des digitalen Reifegrades von Krankenhäusern?

Wir brauchen sehr früh in den Parametern, mit denen wir Digitalisierungsfortschritt in der stationären Versorgung messen, die Perspektive derjenigen, für die wir diese Digitalisierung vorantreiben: Das sind die Patienten. Was kommt dort an? Natürlich ist die Basis von Veränderungen die digitale Strukturqualität. Sie ist jedoch kein Selbstzweck, sondern eine Chance, Prozesse nicht nur zu digitalisieren, sondern sie so zu verändern, dass die Transparenz für und die Partizipation von Nutzern verbessert werden.

Smart, schnell und objektiv den nutzenstiftenden Digitalisierungs-Impact zu erfassen, das ist unser Vorschlag. Wir präferieren eine externe, objektivierbare Sicht auf den Fortschritt, den eine digitalisierte Gesundheitsversorgung im stationären Bereich eröffnet. Auch wenn sich mit diesem Ansatz anfänglich vermutlich ein düsteres Bild zeigen wird, weil Häuser kaum Möglichkeiten für Patienten und Zuweiser bieten, von digitalen Infrastrukturen zu profitieren. Trotzdem sollten wir bei der Messung des digitalen Reifegrades eines Hauses über die Zeit erfassen, wie viel einfacher es wird – getriggert durch die Digitalisierungsmaßnahmen der Häuser – Daten einzusehen, zu teilen, oder sich als Patient partizipatorisch in Versorgungsprozesse einzubringen. Wie viel besser fühlen sie sich versorgt durch die Nutzung digitaler Tools, die ihnen die Häuser bereitstellen. Wie schätzen sie das Angebot ein in der Vorbereitung ihres Klinikaufenthaltes, in der Zeit auf Station, im Entlassmanagement? Wie viel einfacher, wie viel besser wird die Kommunikation mit Pflege und ärztlichem Personal, was tut sich in der Übergabe vom stationären in den ambulanten Bereich? Wie viel besser funktioniert die Absprache zwischen Klinik und versorgendem Hausarzt?

Das Interview mit Dr. Oliver Wagner führte Dr. Ursula Kramer, Digital Health Expertin (4) und Mitglied im Managementboard der Healthcare Shapers (5). 
Weiterführende Insights von Dr. Oliver Wagner zur Erfassung des digitalen Reifegrades im Bericht auf MedtecOnline (6).

Quellen:

  1. DigitalRadar: Projektwebsite https://www.digitalradar-krankenhaus.de/
  2. Zwischenbericht: Ergebnisse der ersten nationalen Reifegradmessung deutscher Krankenhäuser https://www.digitalradar-krankenhaus.de/download/220914_Zwischenbericht_DigitalRadar_Krankenhaus.pdf
  3. Dr. Oliver Wagner
  4. Dr. Ursula Kramer HealthOn Qualitätsplattform für Gesundheits-Apps
  5. Healthcare Shapers Managementboard
  6. Dr. Oliver Wagner und Prof. Dr. Claudia Doblinger (MedtecOnline): Bewertung der digitalen Reife in deutschen Krankenhäusern – objektiv machbar?

Autoren des Beitrags

Dr. Ursula Kramer

The Digital Health Expert advises companies on successfully placing their innovations in the healthcare market, establishing sustainable business models and thus expanding the competitive position and growth of small and medium-sized pharmaceutical and medtech companies as well as start-ups.

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Dr. Oliver Wagner

Dr. med. Oliver Wagner has more than 30 years of international experience in healthcare services, covering clinical medicine and management consulting as well as executive strategic and operational work in different healthcare ventures.

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