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Health Data – transatlantisch austauschen & voneinander lernen

Health Data – transatlantisch austauschen & voneinander lernen

Das Bundesgesundheitsministerium hat führende Wissenschaftler, Politiker, Ärzte und Ethiker zur Data for Health Conference 2023 (1) gebeten, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie sich Gesundheitsdaten innerhalb und außerhalb der europäischen Grenzen besser nutzen lassen. Auch zwei Experten aus dem Kreis der Healthcare Shapers waren eingeladen, Mina Luetkens und Günther Illert, der Gründer des Netzwerks.

Prof. Karl Lauterbach hob in seiner Einführung hervor, dass in Deutschland demnächst die Daten von 150.000 Praxen, 20.000 Apotheken, 2.000 Krankenhäusern und 70 Millionen Versicherten für die Forschung zur Verfügung stünden, wenn die geplanten Gesetzesinitiativen der Bundesregierung zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung greifen. Die exponentielle technische Entwicklung, etwa bei großen Sprachmodelle wie ChatGPT mache die Auswertung dieser medizinischen Daten immer einfacher und intuitiver, was neue Chancen für den Erkenntnisgewinn in Forschung und Versorgung durch Nutzung von Gesundheitsdaten eröffnete.

Gemeinsam mit Prof. Jochen Lennerz von der Harvard Medical School in Boston (USA) hat Karl Lauterbach die hochkarätig besetzte Konferenz zum transatlantischen Austausch initiiert. Beispiele aus den USA sollten verdeutlichen, welchen Nutzen die Auswertung medizinischer Daten schon heute mit sich bringt. Bereits kleinste genetische Schnipsel genügten, so Lennerz, um Erkrankungsrisiken und die Erfolgswahrscheinlichkeiten von Therapien selbst für sehr seltene Erkrankungen zu prognostizieren. In Deutschland könne derzeit von systematischer Datennutzung aber noch kaum die Rede sein, Daten lägen hier häufig noch unsortiert auf „DDR-Dachböden“. Von den unglaublichen Schätzen, die dort schlummern, wisse kaum jemand und der Zugang zu diesen Daten sei extrem schwierig (2). Auf der anderen Seite bestünde ein großer Bedarf: Alleine in Deutschland erkranken jedes Jahr rund 500.000 Menschen neu an Krebs. Die Notwendigkeit, Gesundheitsdaten für bessere Therapieentscheidungen und eine schnellere Versorgung dieser Patienten zu nutzen, ist damit höchst relevant. Wer soll wie auf Gesundheitsdaten zugreifen können und welche ethischen Grundsätze sind dabei maßgeblich? Wie kann aus dem heutigen Flickenteppich an Regeln ein einheitlicher regulatorischer Rahmen entstehen, der diesseits und jenseits des Atlantiks verbindlich angewendet werden kann? Wie lässt sich das mit dem im Aufbau befindlichen European Health Data Spaces (3) verzahnen?  

 

Mina Luetkens und Günther Illert, zwei Partner der Healthcare Shapers bei der Data for Health Conference 2023

Wir brauchen einen “pre-competitive space”

Diese Fragen diskutierten am 20. und 21. Juni rund 300 geladene Experten in Berlin und im Live-Stream. Neben den hochkarätig international besetzten Paneldiskussionen wurden in parallelen Workshops konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet. Rund 30 Forschungsprojekte wurden vorgestellt und diskutiert, die mit Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft vorantreiben. Diesen „pre-competitive Space“ brauchen wir, damit es zu einem echten Austausch komme, betonte Lennerz. Die Data for Health Conference 2023 beginne daher dort, wo die meisten anderen Konferenzen aufhören, mit einem intensiven Dialog, der im Herbst in Boston fortgesetzt werde.

Deutschland – Chance auf modernste Dateninfrastruktur Europas

Das Timing sei entscheidend, betonte Lauterbach. Als die Konferenz geplant wurde, war der Hype um ChatGPT noch nicht absehbar, der rasante technologische Fortschritt und die von seinem Ministerium gerade vorgelegten Entwürfe zum Digitalgesetz, zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und zum Digitalagenturgesetz böten Deutschland jetzt die Chance, die modernste Dateninfrastruktur in Europa aufzubauen.

Mehr Demokratisierung des Gesundheitswesens

Mina Luetkens, u.a. Gründerin von Patients4Digital (4), seit wenigen Wochen Partnerin im Netzwerk der Healthcare Shapers, setzt sich leidenschaftlich für die Demokratisierung des Gesundheitswesens ein. Im Panel „AI Applications and Innovation“ stellte sie die Frage, wie der Wert (Value) von KI-Anwendungen beurteilt und wie das Konzept von Value-based Healthcare (VBHC) im Zusammenhang mit KI umgesetzt werden könne. Die vier Säulen von Value-based Healthcare (personal, technical, societal and allocational) (5) in Balance zu halten, sei im Kontext der Daten, die man dafür erfassen und verarbeiten müsse, besonders herausfordernd.

Die Antworten der hochkarätigen Panellisten zeigen die Vielschichtigkeit des Themas:

  • Giorgio Quer (Scripps Research Translational Institute) erklärte, der wichtigste Wert, den wir bieten müssen, sei der Wert für die einzelnen Beteiligten. Das bedeute, dass alle zunächst Zugang zu Daten erhalten, die sie sonst vielleicht nicht hätten, und dass alle Informationen, möglicherweise auch in verarbeiteter Form, an die Beteiligten zurückgespielt werden müssen. „We want the participant to be engaged with whatever we do“, war sein Schluss-Statement und ganz im Sinne von Mina Luetkens, die sich für ein partizipatives Gesundheitswesen engagiert.
  • Charlotte Tschider (Loyola University Chicago School of Law) fordert, dass die Frage nach dem Wert eng mit der Frage verknüpft werden muss “Was ist gut genug?”, um messbare Verbesserungen zu erzielen und diese im Laufe der Zeit weiter optimieren zu können.
  • Sebastian Schneeweiss (Harvard Medical School) sieht eine wesentliche Herausforderung darin, diese neuen Technologien, die auf den Markt kommen, zu bewerten. Seiner Meinung nach werde man mit sekundären Daten arbeiten. Er betont, dass Studien echte kausale Zusammenhänge aufzeigen müssten, anstelle bloßer Korrelationen, nicht nur bei Wirksamkeit und Sicherheit, sondern auch bezüglich des Nutzens und des „Values“.
  • Für Norman Zerbe (Charité – Universitätsmedizin Berlin) stellt die rein monetäre Betrachtung eine große Hürde dar, wenn wir KI-Anwendungen in die klinische Routine bekommen wollen. Insbesondere in Deutschland müsse man im DRG-System (DRG = Diagnosis-related Groups) nachweisen, dass Prozesse, die Algorithmen nutzen, kostengünstiger seien, als solche, die ohne arbeiten. “So what does it mean? You proof that you save the money for a pathologists or some lab technicians? Or that you are quicker or that you are actually improving quality? Especially the last two ones are very hard to measure. So the question is: How can we do this?” Das DRG-System sei seiner Meinung nach problematisch, und er fordert zusammen mit den Kostenträgern und der Regierung eine Diskussion darüber zu führen, wie dieses Hindernis überwunden werden kann.

Value-based Healthcare – “gemeinsamer Strang” für alle Stakeholder

Die Antworten der Experten verdeutlichen, warum Value-based Healthcare der vielgeforderte „Northstar“ sein könnte, den wir für die bevorstehenden Umwälzungen und Neuordnungen in der Gesundheitsversorgung brauchen. „Diese Konzept ist quasi der “gemeinsame Strang”, an dem alle Stakeholder ziehen können. „Value-based Healthcare“ bedeutet einen Wertewandel. Bei der Umsetzung im Sinne der Vier-Säulen-Definition werden wir um einen gesellschaftlichen, demokratischen und partizipativen Diskurs nicht herumkommen,“ ist Mina Luetkens überzeugt.

Fazit aus Sicht der beiden Healthcare Shapers: Die Data for Health Conference 2023 – eine lohnenswerte Veranstaltung – zeitlich leider parallel zur Bits & Pretzels, aber der Geist des Kongresses stimmt zuversichtlich. Let’s shape healthcare – together!

Quellen:

  1. https://projekttraeger.dlr.de/media/events/dfh23/index.html
  2. https://www.youtube.com/watch?v=QhFi2YW0dmI&t=3s
  3. https://health.ec.europa.eu/ehealth-digital-health-and-care/european-health-data-space_en
  4. https://patients4digital.com/
  5. https://health.ec.europa.eu/document/download/eda2e039-5459-4d75-bdfd-f44ca3b76275_en?filename=2019_defining-value-vbhc_factsheet_en.pdf

Autoren des Beitrags

Günther Illert

Günther Illert is a Strategy Coach. He organises and facilitates strategy dialogues with executives, teams, and organizations to solve complex and burning issues. With his strategic outside perspective, he advises, creates alignment, and catalyses change.

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