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DiGA – goldrichtig!

DiGA – goldrichtig!

Zum Fliegen sind sie noch nicht gekommen, die digitalen Gesundheitsanwendungen, die es seit über drei Jahren als sog. DiGAs oder „App auf Rezept“ gibt. 2020 zum Start des weltweit ersten Market Access Pfads zur Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen – dem deutschen DiGA-Fast Track - waren die Erwartungen groß. Hätte man damals prognostiziert, dass es Anfang 2024 weniger als 60 DiGAs sind, die tatsächlich verordnet werden können, hätte das die Goldgräberstimmung sich merklich eingetrübt. 

Nun setzt das Digitalgesetz an den Kinderkrankheiten der DiGAs an. Ob und wenn ja, wie DiGAs auf diesem Weg als Bausteine in Versorgungspfaden besser integriert werden können und warum sich damit vermutlich auch die Akzeptanz für DiGAs bei Verordnern und Kostenträgern verbessern wird, darüber schreibt Dr. Ursula Kramer, Digital Health Expertin im Netzwerk der Healthcare Shapers in diesem Beitrag.

DiGA – Status Quo 2024 

  • Gelistete DiGAs: 62; dauerhaft gelistet: 31; vorläufig gelistet: 25; gestrichen: 6 (Februar 2024)
  • Anzahl der DiGA-Verordnungen in 2023: 235.000 (Gesamtzahl der Verordnungen seit 10/2020: 375.000)
  • Gesundheitsausgaben für DiGA in 2023: 68 Mio. € (Zum Vergleich: Arzneimittelausgaben in 2023: 49 Mrd €.; d. h.  0,13%)
  • Freischalt-Code Einlösungen: 94%
  • DiGA-Nutzung über die gesamte Verordnungsdauer: 53%
  • Abbruchquote: 38%, davon 15%  innerhalb der ersten 4 Wochen
  • DiGA-Nutzung über die Verordnungsdauer hinaus: 9%
  • Durchschnittlicher Erstattungspreis (für 90 Tage): Dauerhaft gelistete DiGAs: 284 €, vorläufig gelistete DiGA: 603 € (2)
  • Preis der teuersten DiGA: 2077 € (levidex, für MS-Patienten)

Barmer DiGA-Report 2024 (1)

Mutig & lernend digitale Therapien auf den Weg bringen

Auch wenn die Marktentwicklung deutlich hinter den euphorischen Umsatzerwartungen der DiGA-Pioniere zurückgeblieben ist, war und ist der DiGA-Fast Track ein wichtiger Schritt, um in das völlig neue Therapiegebiet der digitalen Interventionen vorzustoßen. Selbst im hochregulierten Gesundheitsmarkt wurde es damit möglich, Erfahrungen zu sammeln und zu lernen, ohne die Patientensicherheit zu gefährden. Auch unsere europäischen Nachbarländer in Frankreich, Belgien und Österreich hat der DiGA-Vorstoß inspiriert (3). Sie haben ihn als Blaupause genutzt, um ihre nationalen Market Access Wege auf Basis der DiGA-Erfahrungen zu adaptieren und die Diskussion um Harmonisierungsbemühungen in Europa anzustoßen (4). 

Mit dem DiGA-Fast Track wurde Deutschland erstmals auch für Kapitalgeber weltweit interessant, die im jungen DiGA-Markt eine Innovationschance witterten. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass Deutschlands Gesundheitswesen bis dato in Sachen Digitalisierung eher unter den europäischen Schlusslichtern verortet wurde, die die Einführung der elektronischen Patientenakte ePA sowie des e-Rezeptes ziemlich verschlafen haben (5). 

Wie funktioniert eine DiGA? 

Die digitalen Anwendungen können vom Arzt auf Rezept verordnet oder direkt bei der Krankenkasse als Freischalt-Code angefordert werden. Sie bieten Menschen mit chronischen Erkrankungen digitale Hilfe zur Selbstbefähigung, klären über Krankheiten auf, leiten zu Eigenübungen an und motivieren zu Verhaltensänderungen. Auf diesem Weg sollen sie Symptome von Menschen mit chronischen Erkrankungen lindern und deren Lebensqualität verbessern. Sie ergänzen klassische Therapieansätze oder überbrücken im Fall von langen Wartezeiten z. B. auch die Zeit bis zu einer Therapie mit einem Psychotherapeuten.

Den DiGA-Weg verstehen

  • Ein Start mit Augenmaß, Netz und doppeltem Boden

Das Digitale Versorgung-Gesetz DVG (6) machte den Weg frei zum DiGA-Fast Track – also der beschleunigten Marktzulassung von digitalen Gesundheitsanwendungen. Mutig am gemeinsamen Bundesausschuss GBA vorbei und gleichzeitig mit viel Bedacht haben die DiGA-Väter lediglich einem sehr kleinen Kreis von digitalen Gesundheitsanwendungen den neuen Zugangsweg in die Patientenversorgung eröffnet: Nur CE-zertifizierte Medizinprodukte, die ihre Sicherheit und Leistungsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt haben, und deren Risiko für die Anwender  –  in einer Art „Zulassung“, dem sog. EU-Konformitätsverfahren  - als gering eingeschätzt wurden (Risikoklasse I und IIa), können den DiGA-Weg nutzen. 

  • Der Griff zum "Stand-alone-Ansatz"  

Damit das Projekt DiGA überhaupt starten konnte, sollten diese Anwendung direkt vom Patienten nutzbar sein und als digitale Therapie quasi im „Stand-Alone-Modus“ auch ohne Therapeuten funktionieren. Die Unterstützung, die eine DiGA bietet, sollte schließlich keine Konkurrenz sein zu Leistungen, die von Therapeuten ohnehin erbracht und abgerechnet werden. Und mit dieser Brücke sollte es für DiGAs einfacher werden, auch ohne aktives Zutun der Verordnern und trotz Zurückhaltung auf Seiten von Verordnern oder Krankenkassen. Der Fokus einer DiGA sollte also auf der selbstständigen Nutzung durch Patienten liegen, ihre Vorteile werden ausschließlich digital vermittelt.

  • Die „Evidenz to go“ als Innovations-Anreiz

Der Wunsch bzw. die vom Gesetzgeber gesehene Notwendigkeit, digitale Therapien einzuführen, traf und trifft noch immer auf viel Skepsis bei Therapeuten und Kostenträger. Die Anforderungen an den Nutzennachweis, die Preisgestaltung, die Verordnungsprozesse, das alles wurde neu aufgesetzt und muss verstanden und gelernt werden. Das sind Risiken für Hersteller, die in den neuen Markt investieren.

  • Die Entwicklung digitaler Therapieprodukte ist aufwändig und teuer: Die Software als Medizinprodukt muss einfach nutzbar, d. h.  anwenderfreundlich sein. Sie muss in klinischen Studie beweisen, dass sie wirksam ist, d. h. dem Anwender hilft, sein Leben mit einer chronischer Erkrankung besser zu bewältigen. Die dazu erforderliche Pilotstudie, die Antragstellung und Listung im DiGA-Verzeichnis, die Entwicklung eines plausiblen Studienkonzeptes, dass innerhalb von 12 Monaten in einer klinischen Studie überzeugende Ergebnisse liefert, das alles kosten Zeit und viel Geld.
  • Auch die Vermarktung der gelisteten DiGA ist herausfordernd, haben doch die jungen Digitalunternehmen im Gegensatz zu Pharmaunternehmen keine gewachsenen Vertriebsstrukturen und keine vergleichsweise tiefen Taschen für die Bewerbung ihrer erklärungsbedürftigen Produkte.
  • Die Grundsätze evidenzbasierter Medizin sowie das Wirtschaftlichkeitsgebot gelten auch für DiGAs

Damit bei soviel Risiko überhaupt investiert wird, brauchte es Anreize für den DiGA-Weg: 

  • Die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten erstattet eine DiGA bereits in der Phase der vorläufigen Listung, das spielt Geld ein, zur Refinanzierung der Entwicklungs- und Studienkosten.
  • Der Hersteller bekommt die Freiheit, den Preis der DiGA in den ersten 12 Monaten nach vorläufiger Listung selbst festzulegen. 

Der Weg zum idealen Evaluations- und Listungsprozess für neue, digitale Therapien wurde neu gegangen mit der Überzeugung, dass man im globalen äußerst kompetitiven Markt der digitalen Gesundheitsanwendung nicht warten kann und will, bis eine 100 Prozent-Lösung steht. Der Weg entsteht im gehen und wird iterativ auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse adaptiert, wie jüngst mit den Änderungen des Digitalgesetz DigiG, das jetzt in Kraft getreten ist. 

DiGA-Kinderkrankheiten heilen...

Was als Starthilfe gedacht war, das Konzept der „Stand-alone DiGA“ und die Möglichkeit zur „Evidenz-to go“ zeigt „Bremsklotz-Effekte“, die die Marktentwicklung behindern:

  • Verordner fühlen sich zu wenig eingebunden und informiert, sie zeigen sich zurückhaltend mit der Verordnung von DiGAs.
  • Die DiGA-Adhärenz der Nutzer bleibt unter den Möglichkeiten, auch wenn digitale Therapien in Sachen Adhärenz ähnlich gut abschneiden, wie Arzneimittel zur Behandlung chronischer Erkrankungen (7). Digitale Therapien zeigen in hybriden Ansätzen bessere Wirkung.
  • Die Erstattung vorläufig gelisteter DiGAs war und ist Kostenträgern ein Dorn im Auge, selbst bei dauerhaft gelisteten DiGAs wird die vom BfArM anerkannte Evidenz angezweifelt. Die Studien werden in der Regel vom Hersteller mono-zentrisch und unverblindet durchgeführt, was zu Verzerrung führt (8). Man wünscht sich zusätzliche, belastbare Daten über die tatsächliche Nutzung von DiGAs und den vom Anwender eingeschätzten Nutzen und möchte diese Daten auch für die Preisfindung einer DiGA nutzen.
  • DiGA-Kurskorrekturen im neuen Digitalgesetz

Mehr Akzeptanz bei Therapeuten und mehr Relevanz im Versorgungsprozess erhofft man sich jetzt von Änderungen am DiGA-Konzept, die jüngst mit dem Digitalgesetz (DigiG) verabschiedet worden sind (9).  Hier die drei wesentlichen Änderungen im DiGA-Konzept:

  1. Die Integration von Telemonitoring-Elementen wird nun auch im DiGA-Konzept möglich. Dabei bleibt der Fokus weiterhin auf der Nutzung der digitalen Anwendung durch den Patienten. Er bekommt anhand der Daten aus Fragebögen oder Sensoren, die im Rahmen des Patienten Monitorings erfasst werden, individualisierte Rückmeldungen, die er verstehen und umsetzen kann. Das bloße Auslesen von Werten aus Sensoren oder eine rein auf die Übermittlung von Daten an einen Leistungserbringer beschränkte Anwendung erfüllt die Anforderungen an eine DiGA nicht. Das (telemedizinische) Monitoring kann in der Regel nur im Zusammenhang mit vertragsärztlichen Leistungen umgesetzt werden. Der Arzt ist also viel stärker als bisher mit im „DiGA-Boot“.
  2. Auch Medizinprodukte der höheren Risikoklasse IIb können jetzt DiGA werden, um digitale Anwendungen von größerem, medizinischem Nutzen entwickeln zu können. Allerdings ist für diese DiGAs keine vorläufige Listung möglich, und sie müssen zwingend einen medizinischen Nutzen nachweisen, patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen reichen nicht aus.
  3. Ab 1.1.2026 soll eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung für alle DiGAs verpflichtend werden. Die Daten sollen Aufschluss geben, wie häufig und wie lange eine DiGA genutzt wird und wie sich der Gesundheitszustand im Verlauf der Nutzung nach eigener Einschätzung verändert. Diese Parameter sollen Basis werden für einen erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteil. Details regelt eine Rechtsverordnung, die noch entwickelt wird.

Auch die organisatorischen Hürden auf dem Weg zum Freischalt-Code sollen reduziert werden.

  1. Ein stärkeres Augenmerk wird daher auf den Abgabeprozess gelegt, Krankenkassen werden verpflichtet, den Freischalt-Code innerhalb von 2 Arbeitstagen nach der Verordnung abzugeben. 
  2. Auch DiGAs sollen ab 1.1.2025 per e-Rezept verordnet werden können, solange gibt es digitale Therapie ausschließlich auf dem rosa Papierrezept!
  • DiGAs als Bausteine in Versorgungspfaden integrieren

Fazit: Digitale Anwendungen erobern langsamer als von den Innovatoren initial erhofft, die Versorgungslandschaft in Deutschland. Die neuerlichen Anpassungen im Digitalgesetz helfen dabei, DiGAs als integrierte Bausteine in Versorgungspfaden zu implementieren, was dazu beitragen wird, Akzeptanz und Nutzung zu steigern.
Auch die DiGA 2.0 orientiert sich weiterhin sehr stark am Nutzen für den Patienten. Durch die neuen Brücken zum Remote-Monitoring können jedoch die Daten aus der Lebenswelt von Patienten zukünftig besser einbezogen werden in das gesamte Therapiekonzept. Patienten, die die Daten verstehen, werden besser befähigt. Therapeuten, die die Daten aus dem Remote-Monitoring nutzen, können gemeinsam mit ihren Patienten bessere Therapieentscheidungen treffen. Mit Daten aus der ab 2026 verpflichtenden Begleitevaluation von DiGAs wird Real World Evidenz generiert, die Erfolgsfaktoren für DiGA-Adhärenz ausleuchten wird und den fairen Preis einer DiGA besser beurteilen zu können.

Quellen:

  1. BARMER DiGA-Report 2024
  2. DiGA-Dashboard HealthOn, Stand 23.02.2024
  3. DiGA-Fast Track – Blueprint für Digitalturbo in Europa?
  4. European Digital Medical Device Task Force (DMD): G_NIUS 
  5. Digitale Gesundheit in Europa 
  6. Digitale-Versorgung Gesetz (DVG) 
  7. Verbessserung und Auswirkungen medikamentöser Threapietreue. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 41-7; DOI: 10.3238/arztebl.2014.0041 
  8. Gutachten: DiGA fehlt es an Evidenz. Ärzte Zeitung, 19.12.2022. Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns „Bewertung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)"
  9. BfArM: Häufig gestellte Fragen (FAQ): Änderungen durch das DigiG

Autoren des Beitrags

Dr. Ursula Kramer

The Digital Health Expert advises companies on successfully placing their innovations in the healthcare market, establishing sustainable business models and thus expanding the competitive position and growth of small and medium-sized pharmaceutical and medtech companies as well as start-ups.

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Rainer Herzog

Rainer Herzog is providing advice to healthcare organizations on building and implementing their digital health and patient engagement strategies and offerings. He also serves as a mentor and investor for digital health start-ups.

As a senior healthcare and digital health executive, Rainer possesses well-established experience in driving innovation and building new business.

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