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Die Apotheke der Zukunft – Daten als strategische Chance?

Die Apotheke der Zukunft – Daten als strategische Chance?

Die Versorgungspfade werden immer digitaler, auch in der Apotheke. Das e-Rezept ist mit Erfolg zu Jahresbeginn eingeführt worden und ersetzt das rosafarbene Papierrezept, und wenn der Patient wünscht, auch den Gang in die Apotheke (1). Die flächendeckende Einführung der elektronische Patientenakte ePA als opt-out Lösung für alle Versicherten Anfang 2025 und die Integrationen von Mehrwertfunktionen wie e-Medikationsplan und e-Impfpass, werfen ihre Schatten voraus (2).

Beim HCS Live Talk haben wir mit drei Apothekern gesprochen: Heike Gnekow aus Hamburg (3), Birgit Schleicher aus Löbau (4) und Johannes Jaenicke aus Rhaunen (5). Ihre Perspektiven auf die Nutzung von Gesundheitsdaten in der Arzneimittelversorgung haben sie mit uns geteilt, d. h. wie sie Daten für die Arzneimittelversorgung heute bereits nutzen, welche Chancen sich zukünftig eröffnen und wie sich im zunehmend digitalisierten Arbeitsumfeld die Aufgaben, Arbeitsweisen und Beratungsschwerpunkte in der Apotheke verändern.

Menschen lieben ihre Apotheke

Die meisten Menschen assoziieren die Beschaffung von Arzneimitteln mit dem klassischen Bild: Physischer Gang in die Apotheke, Einlösen eines rosafarbenen Papier-Rezeptes, kurze Hinweise zur Einnahme der eingelösten Arzneimittel vom Apotheker. Das wars. Kurz und schmerzlos.

Für Menschen, die oft zur Apotheke müssen, weil sie dauerhaft auf Medikamente angewiesen sind, häufen sich die Besuche. Der Aufwand für diese Kunden und für das Apothekenteam vor Ort wächst, besonders im ländlichen Raum, wo immer mehr Hausarztpraxen verwaist sind. „Menschen mit hohem Unterstützungs- und Pflegbedarf wünschen sich, so lange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld zu leben. Und dabei unterstützen wir die Menschen, die uns dafür lieben,“ ist Johannes Jaenicke überzeugt. Seit mehr als 16 Jahren führt er eine Apotheke im Hunsrück.

Komplexe Arzneimitteltherapien – Herausforderungen für Pflegende

Weil diese Menschen häufig dauerhaft auf drei und mehr Arzneimittel angewiesen sind, wird das Arzneimittelmanagement komplex. Und in einer alternden Gesellschaft wie Deutschland wachsen damit perspektivisch auch die Herausforderungen an die Apotheken vor Ort (6). 

Johannes Jaenicke bietet in seiner Apotheke den Service der individuellen Arzneimittelverblisterung. In sog. Kartenblistern werden die Tabletten in Tagesdosen für eine ganze Woche vorsortiert, die der Patient einfach nur entnehmen muss. Rund 1.500 Patienten versorgt der Apotheker auf diese Weise, bei 900 erfolgt diese Verblisterung sogar maschinell. Die Kartenblister werden nach Hause geliefert, die Arzneimittel rechtzeitig nachbestellt und etwaige Anpassungen im Medikationsplan berücksichtigt. „Der Gang zur Apotheke und der Gang zum Arzt für das Rezept, das alles können wir den Kunden ersparen und gleichzeitig die Sicherheit in der Arzneimitteltherapie verbessern.“

Arzneimittel verblistern – Pflege entlasten

Auch Birgit Schleicher und Heike Gnekow unterstützen sowohl zuhause lebende, betagte Kunden als auch Bewohner von Pflegeheimen mit der individuellen Verblisterung der Dauermedikation. „Wir organisieren das Medikationsmanagement für rund 100 Stationen von Hamburger Pflege- und Altenheimen. Für diese Einrichtungen liefern wir Medikamente, prüfen Medikationspläne und sind Ansprechpartner bei allen Fragen zur Medikation. Die Daten zum Medikationsmanagement teilen wir mit den beteiligten Ärzten und Pflegekräfte,“ berichtet Heike Gnekow, die seit 8 Jahren in Hamburg eine Offizinapotheke führt, die sich auf die Heimversorgung spezialisiert hat. Zum Teil arbeitet sie in der Verblisterung mit Dienstleistern zusammen.

Hellomed ist ein solches Unternehmen, das deutschlandweit ambulante Pflegedienste beliefert (7). Tim Bogdan, Mitbegründer von Hellomed und Pflegespezialist (8) weiß um die hohe Komplexität der Pflegeprozesse und die Belastungen der Pflegekräfte, die sich durch den zunehmenden Fachkräftemangel weiter verschärfen. „Wenn wir die sichere Bereitstellung der individuellen Medikation durch hocheffiziente Arbeitsabläufe unterstützen, spart das enorm viel Zeit und schafft Freiraum für die Pflege, was den Patienten zugutekommt“, betont Tim Bogdan, der auch als Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers aktiv ist.

Bundeseinheitlicher Medikationsplan BMP

Seit Oktober 2016 hat jeder Versicherte in Deutschland ein Recht auf einen sog. Bundeseinheitlichen Medikationsplan (§ 31a SGB V) (9), wenn der Versicherte mindestens drei systemisch wirkende, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschriebene Arzneimittel dauerhaft – das heißt (voraussichtlich) für einen Zeitraum von mindestens 28 Tagen – anwendet. Diese Versicherten haben Anspruch auf die Erstellung und den Ausdruck des Medikationsplans sowie die Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte.

Pharmazeutische Beratung für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit

Mit dem e-Rezept, das seit Anfang des Jahres verbindlich eingeführt wurde, liegen Informationen über die verordneten Arzneimittel nun digital in Form strukturierter Daten vor, die man lesen, verarbeiten und auswerten kann. Arzneimittel, die als Dauermedikament verordnet werden, können jetzt über einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten abgerufen werden. Das macht vieles einfacher. Das bringt natürlich auch die Online-Apotheken in Stellung.

Mit jeder Bestellung, die über eine Online-Apotheke abgewickelt wird, verliert die Apotheke vor Ort Daten ihrer Apothekenkunden, Daten, die sie braucht, um sogenannte Mehrwertangebote in der Arzneimittelversorgung machen zu können. „In Sachen CRM-System wünsche ich mir noch mehr Unterstützung, um die Patienten gezielt mit dem richtigen Unterstützungsangebot zu erreichen,“ betont Johannes Jaenicke. „Wir kennen natürlich unsere Stammkunden und können Suchläufe in unseren Systemen durchführen, wer nutzt z. B. Pulverinhalatoren? Diese Patienten mit Asthma oder COPD können wir in der richtigen Anwendung dieser inhalativen Arzneimittel schulen, das fördert die Mitwirkung der Patienten und damit Therapieadhärenz und Arzneimitteltherapiesicherheit,“ erklärt Johannes Jaenicke. Nach dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) sei für die Erbringung dieser sog. pharmazeutischen Dienstleistungen ein Budgettopf geschaffen worden, der allerdings von den Apotheken noch viel zu wenig in Anspruch genommen werde.

Pharmazeutische Dienstleistungen pDL

  • Seit Juni 2022 dürfen Apotheken bestimmte pharmazeutische Dienstleistungen durchführen und abrechnen. Sie gehen dazu auf Kunden mit entsprechendem Unterstützungsbedarf zu (10).
  • Rechtliche Grundlage: Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG).
  • Finanzierung: Krankenkassen sind verpflichtet, den Apotheken pro Jahr 150 Millionen Euro für die Erbringung pharmazeutischer Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.
  • Abrechnung: Die Dienstleistungen werden quartalsweise über den Nacht- und Notdienstfonds abgerechnet. Dafür müssen sie dokumentiert und vom Kunden oder der Kundin quittiert werden.
  • Welche pDL gibt es: Die Beratungsangebote beziehen sich auf Bluthochdruck, Inhalativa bei COPD und Asthma, Polymedikation, Orale Krebstherapie, Organtransplantation.
  • Qualifizierung für die Polymedikations-Analyse: Apotheker müssen eine Fortbildung auf Basis des Bundesapothekerkammer (BAK)-Curriculums „Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess“ oder mindestens einer gleichwertigen Fortbildung wie ATHINA, ARMIN, Apo-AMTS oder ähnliches absolviert haben.

Wir haben bei uns eine Kraft, die die Termine mit den Patienten für die Beratungen vereinbart, und eine approbierte Apothekerin, die dann die pharmazeutischen Dienstleistungen erbringt. Die Beratung durch pharmazeutisches Fachpersonal erfolgt immer häufiger nicht mehr als Routineaufgabe vorne im Handverkauf (HV), sondern nach individueller Vereinbarung,“ so Johannes Jaenicke. 

Überhaupt ist die Aufklärung der Patienten unheimlich wichtig für Sicherheit und Qualität in der Arzneimittelversorgung.

„Und hier können wir auch von Nachbarn lernen,“ regt Willem van den Dool (11) an, der selbst Apotheker ist und am HCS Live-Talk teilgenommen hat. „In holländischen Apotheken nutzen viele Apotheken Anbieter wie Careanimations (12), die kurze Videos mit verständlichen Erklärungen zu den wichtigsten Arzneimitteln bereitstellen. Die sog. Apoclips können Kunden zu Hause abrufen, wenn sie Fragen haben. Die pharmazeutische Beratung bleibt auf diese Weise zugänglich, auch wenn der Kunde die Apotheke längst verlassen hat.“

Asynchron, sicher und schneller kommunizieren

Birgit Schleicher aus Löbau sieht viele neue Aufgaben auf die Apotheke zukommen: „Die approbierten Apotheker arbeiten schon heute viel weniger im Handverkauf (HV) und immer mehr im Back Office als koordinierende Manager, die u. a. Datenanalyse durchführen. Die Zusammenarbeit mit den Arztpraxen vor Ort ist wichtig, um Chancen für alternative Unterstützungsangebote zu entwickeln,“ ist Birgit Schleicher überzeugt.

Auch die Kommunikation mit den Ärzten verändert sich, berichtet Johannes Jaenicke. „Durch den sicheren Austausch per KIM erleben wir zunehmend eine asynchrone Kommunikation. KIM steht für Kommunikation im Medizinwesen und ist der einheitliche Standard für die elektronische Übermittlung medizinischer Dokumente. Wir beantworten die Fragen von Ärzten nicht am Telefon, sondern erhalten sie und beantworten sie über den sicheren E-Mail-Dienst, KIM (13). Zukünftig soll es auch sichere Messenger Anwendungen geben TIM (14). Diese Sofortnachrichten können dann mit verschiedenen Endgeräten versendet und empfangen werden, quasi eine Art WhatsApp für die sichere Kommunikation in der Gesundheitsversorgung. 
So können wir die Anfragen gezielt abarbeiten, wenn Zeit dafür ist. Das bedeutet: Weniger Telefonklingeln und Unterbrechungen, was enorm viel Zeit spart. Auch wenn wir im Alltag bei Stammkunden Wechselwirkungen sehen, machen wir eine papierlose Meldung, der Fall wird dann von Approbierten im Back Office bearbeitet und der Arzt wird informiert,“ so Johannes Jaenicke.

Eine gut funktionierende, digitale Infrastruktur ist im Apothekenalltag nicht mehr wegzudenken. „Weil sich die technische Komplexität mit den herkömmlichen Berufsbildern in der Apotheke nicht beherrschen lässt, haben wir bei uns eigens dafür einen ITler eingestellt, der sich um die digitale Vernetzung kümmert und dafür sorgt, dass die Datenanbindung reibungslos funktioniert. Wir sehen die Notwendigkeit zu Arbeitsteilung, der Fokus der Apotheker liegt klar auf der pharmazeutischen Beratung,“ erklärt Johannes Jaenicke.

„Apps auf Rezept“- kein Thema in Apotheken

Seit mehr als drei Jahren gibt es Apps auf Rezept, digitale Gesundheitsanwendungen, die als DiGA bezeichnet werden (15). In der Apotheke sind sie noch kein Thema. Alle drei Apotheker berichten, dass sie bisher weder von Ärzten noch von Kunden auf digitale Anwendungen angesprochen worden sind, obwohl unter den Stammkunden viele chronische Patienten sind, für die digitalen Therapien zur besseren Alltagsbewältigung eine Option sein könnten.

Wir müssen die richtige Balance finden zwischen digital und analog“, ist der abschließende Appell von Heike Gnekow. Auch wenn sich das Arbeitsumfeld der Apotheke mehr und mehr digitalisiert, was viele Vorteile mit sich bringt, wird das zwischenmenschliche Gespräch in der Apotheke ganz wichtig bleiben. „Zu unserem Beruf gehört auch eine soziale Verantwortung. Wir interessieren uns, wie es den Kunden geht, hören zu, trösten, haben ein gutes Wort. Nahe an den Menschen zu sein, auch das macht unseren Beruf aus, und das wollen wir auch in Zukunft so halten,“ wünscht sich die Apothekerin Heike Gnekow.

 

 

Vielen Dank an Birgit Schleicher, Heike Gnekow und Johannes Jaenicke, die ihre Perspektive als Apotheker auf die Datennutzung in einem zunehmend digitalisierten Apothekenumfeld mit uns beim Live Talk geteilt haben. 

Danke auch an die beiden Partner aus dem Netzwerk, Matthias Steinberger und Tim Bogdan, die mit ihren zwei Beiträgen zur „Zukunft der Apotheke“ (6) diesen Live-Talk inhaltlich inspiriert haben und die spannenden Gesprächspartner zur Mitwirkung an diesem Live-Talk gewinnen konnten.

 

Quellen:

  1. eRezept. https://www.gematik.de/anwendungen/e-rezept
  2. DigiG https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze-und-verordnungen/guv-20-lp/digig
  3. Heike Gnekow https://adler-apotheke-hh.de/
  4. Birgit Schleicher https://www.gesund-in-loebau.de/apo/Service/Unser-Service/Individuelle-Verblisterung-569485233
  5. Johannes Jaenicke https://www.adler-apotheke.info/kontakt/
  6. Apotheke 2023 - Neue Handlungsfelder https://www.healthcareshapers.com/blogs/2023/12-18/apotheke-2023-neue-handlungsfelder
  7. Hellomed https://hellomed.com/pflegeunternehmen
  8. Tim Bogdan https://www.healthcareshapers.com/members/tim-bogdan
  9. Bundeseinheitlicher Medikationsplan https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/31a.html
  10. Pharmazeutische Dienstleistungen https://www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen/
  11. Willem van den Dool https://www.healthcareshapers.com/members/willem-van-den-dool
  12. Careanimation, Düsseldorf https://careanimations.de/
  13. KIM https://www.gematik.de/anwendungen/kim
  14. TIM https://dip.medatixx.de/e-health/ti-messenger, https://www.gematik.de/anwendungen/ti-messenger
  15. DiGA Verzeichnis BfArM https://diga.bfarm.de/de

Autoren des Beitrags

Dr. Ursula Kramer

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