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Apotheke 2030 - Herausforderungen und Chancen

Apotheke 2030 - Herausforderungen & Chancen

Der deutsche Apothekenmarkt steht vor tiefgreifenden Veränderungen, geprägt von politischen Auseinandersetzungen, dem demografischen Wandel und dem Druck zur Digitalisierung. 

Tim Bogdan und Matthias Steinberger, beide Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers, werfen einen Blick auf vier wesentliche Herausforderungen, um bis 2030 den erforderlichen Umbau der Apothekenbranche in eine erfolgreiche Zukunft zu meistern. 

In einem zweiten Beitrag, der hier in Kürze folgt, werden die beiden dann konkrete Lösungsansätze vorstellen.

 

Kernherausforderungen für den Apothekenmarkt angesichts einer alternden Gesellschaft

"Immer mehr Apotheken machen dicht. Das ist ein schmerzlicher Verlust für viele Patientinnen und Patienten, für die der Weg zur nächsten Apotheke nun länger wird“ 
Gabriele Regina Overwiening, ABDA-Präsidentin

Die ABDA-Präsidentin, Gabriele Regina Overwiening, bringt die prekäre Lage auf den Punkt. Und der demografische Wandel verschärft die Situation weiter: Fast ein Viertel der Bevölkerung ist bereits über 65 Jahre alt (1), 49 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland haben chronische Krankheiten, wie das Robert-Koch-Institut in seiner jüngsten „Gesundheit in Deutschland“-Studie ermittelt hat (2). Auch die Pflegebedürftigkeit nimmt weiter zu, bis 2023 sollen 6,1 Millionen Menschen auf Pflegeleistungen angewiesen sein (3).

4 Kernherausforderungen für Apotheken

Abb. 1: Kernherausforderungen einer alternden Gesellschaft aus Sicht des Apothekenmarkts

Kernherausforderung 1: Abnehmende Versorgungskapazität bei Leistungserbringern

Die Apothekenzahl ist drastisch gesunken, von 21.500 im Jahr 2010 auf 18.000 im Jahr 2023 (4). Das akute Problem, pharmazeutische Fachkräfte zu finden, verschärft sich in den kommenden Jahren weiter. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2030 mehr als 10.000 Approbierte fehlen könnten (5). Das führt zu längeren Anfahrtswegen, längeren Wartezeiten in Apotheken, weniger Zeit für pharmazeutische Beratung vor Ort. Die Medikamentenbeschaffung wird für Patienten schwieriger. 
Auch versorgerseitig spitzt sich die Lage zu: Bis 2035 werden in Deutschland etwa 11.000 Hausarztstellen unbesetzt sein. Fast 40 Prozent der Landkreise droht damit die Unterversorgung (6). Das wird die Wichtigkeit von Apotheken als alternativen und niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung weiter erhöhen.

Schlussfolgerung: Aufgrund des sich verschärfenden Fachkräftemangels bei gleichzeitig steigendem Versorgungsbedarf durch immer mehr ältere, multimorbide Patienten müssen bestehende Personalressourcen zukünftig effektiver eingesetzt und bestmöglich befähigt werden. 

Kernherausforderung 2: Alternde Gesellschaft mit erhöhtem Versorgungsbedarf

Deutschland altert weiter und der Versorgungsbedarf wächst exponentiell (1). Über 65-jährige machen mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus (2). Der Anstieg chronischer Erkrankungen und die Verdopplung der Pflegebedürftigen in den letzten zehn Jahren erfordern dringend neue Versorgungskonzepte. Denn auch die finanzielle Belastung für Pflegebedürftige wächst, so hat der Selbstzahler-Anteil für Pflegebedürftige in Pflegeheimen 2023 einen Höchststand erreicht von durchschnittlich 2.411 Euro Zuzahlung im Monat, und die Tendenz ist weiter steigend (7).

Schlussfolgerung: Die Versorgung in Pflegeheimen können sich viele Familien nicht mehr leisten, sie werden sich zukünftig deutlich intensiver um die Versorgung ihrer zu pflegenden Angehörigen in der eigenen häuslichen Umgebung kümmern müssen. Neue Angebote für die häusliche Versorgung sind dringend erforderlich, um den steigenden Versorgungsbedarf bei Pflegebedürftigen decken zu können.

Kernherausforderung 3: Mangelnde Digitale Teilhabe bei geringer Adaptionsgeschwindigkeit

Die Hälfte der über 70-Jährigen nutzt heute das Internet nicht, was die Einführung digitaler Versorgungskonzepte erschwert (siehe Grafik unten). Daher sind niedrigschwellige Zugänge und benutzerfreundliche Prozesse in einer zukünftig immer stärker digitalisierten Versorgungslandschaft notwendig, sie müssen sowohl sicher und fehlerfrei funktionieren als auch einfach anzuwenden sein für Patienten und pflegende Angehörige. 

Internetnutzung Ü70 in Deutschland

Abb. 2: Internet-Nutzungshäufigkeit bei Ü70-Senioren in Deutschland 2023 (8)

Dass sich nur langsam Fortschritte zeigen in der digitalen Transformation des Gesundheitswesens, liegt zum einen an der eingeschränkten Digitalkompetenz von Patienten (s. o.) Aber auch viele Leistungserbringer beklagen, nicht vernünftig abgeholt worden zu sein: Mehr als 50 Prozent der Ärzte fühlen sich bei digitalen Lösungen überfordert. Und auch der Blick in die Apotheken zeigt, dass wertstiftende Prozesse zur schnellen und sicheren Kommunikation der Leistungserbringer untereinander, wie z. B. der KIM-Dienst (KIM=Kommunikation im Medizinwesen), bisher lediglich von 17 Prozent der Apotheken installiert worden ist und nur von 4 Prozent mangels praktischer Anwendungsmöglichkeiten genutzt wird (9).

Schlussfolgerung: Neue, digitalisierte Lösungen für das Gesundheitswesen brauchen einen niedrigschwelligen Zugang und nutzerfreundliche Prozesse. Es bedarf außerdem der Aufklärung und Unterstützung aller Akteure, d. h. der Patienten und Angehörigen, der Apotheker und Ärzte, um die Nutzung digitaler Tools voranzubringen und so auf eine breite Akzeptanz und erfolgreiche Adaption hinzuwirken.

Kernherausforderung 4: Fehlmedikation und Nonadhärenz in der Pflege

Jährlich werden aufgrund von Fehlmedikationen 250.000 Menschen in deutsche Krankenhäuser eingeliefert, (10), ein Drittel davon sind Senioren über 75 Jahren (11), jährlich sterben rund 30.000 (12). Eine bessere Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Patienten und Leistungserbringern im Hinblick auf die Medikation könnten Abhilfe leisten und viele Fehlmedikationen verhindern. Einen aktuellen, elektronisch einlesbaren Medikationsplan mit QR-Code (eMP) haben nur etwa ein Drittel (29%) der Menschen, denen dauerhaft mehr als vier verschiedene Arzneimittel verordnet werden (Polypharmazie). 17,2 Prozent dieser Patienten haben gar keinen Medikationsplan (9), obwohl alle Patienten mit mehr als drei verschiedenen Dauermedikamenten bereits seit 2016 einen gesetzlichen Anspruch darauf haben. 
Um digitale Unterstützungsangebote zu etablieren, die helfen können, Fehlmedikation zu vermeiden und die Adhärenz zu verbessern, braucht es eine interoperable Gesundheitsinfrastruktur, die in Deutschland leider immer noch nicht durchgängig vorhanden ist. Gerade Pflegebedürftige und ältere Menschen brauchen jedoch Hilfe, bei über 50 Prozent der Pflegebedürftigen ist die Therapietreue sehr gering (13), und gerade alte Menschen haben große Schwierigkeiten, vorgegebene Therapiepläne im Alltag umzusetzen (14).

Schlussfolgerung: Die Nutzung digitaler Lösungen kann helfen, die großen Herausforderungen im Bereich der Arzneimittelversorgung besser zu meistern  Große Hoffnungen liegen in der flächendeckenden Nutzung des elektronischen Medikationsplans (eMP), des elektronischen Rezepts (eRezept) und der elektronischen Patientenakte (ePA). Sie schaffen die Voraussetzungen, dass Patienten in der Arzneimitteltherapieadhärenz unterstützt werden können, angefangen von qualitätsgesicherten Informationen mit alltagsnahen Tipps zur Einnahme bis hin zur direkten Benachrichtigung des Patienten durch Arzt oder Apotheker und die Erinnerung an die Arzneimitteleinnahme zu den festgelegten Zeitpunkten.

Fazit

Die Herausforderungen sind klar: Immer mehr Apotheken schließen, die Bevölkerung altert, in Sachen digitaler Teilhabe stehen wir am Anfang. Der Druck auf die Gesundheitsversorgung wird weiter wachsen und damit das Problem der vermeidbaren Fehlmedikationen, das jährlich viele Menschenleben kostet. 
Wenn sowohl etablierte als auch neue Akteure im Apothekenumfeld mit dem Willen zur Veränderung gemeinsam an konkreten Lösungsansätzen arbeiten, entstehen Wege in eine erfolgreiche Arzneimittelversorgung der Zukunft.

Mit welchen neuen Handlungsfeldern und Tätigkeitsschwerpunkten die Apotheke fit wird für 2030 erklären Tim Bogdan und Mathias Steinberger im Teil 2 dieser Reihe, der hier in in Kürze erscheint.

Dieser Artikel ist in gesamter Länge hier einsehbar. 
 

Quellen:
1.   https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD22_N033_12.html 
2.   Robert-Koch-Institut: „Gesundheit in Deutschland“-Studie. 
3.   https://www.pflegemarkt.com/2023/07/27/branchenstimmen-dramatische-situation-pflege/ 
4.   Zahl der Apotheken nur noch knapp über 18.000  
5.   https://www.pharmazeutische-zeitung.de/nachwuchsmangel-in-zahlen-139203/ 
6.   https://www.deutschlandfunk.de/landaerzte-verzweifelt-gesucht-100.html 
7.   Pflege im Heim wird teurer 
8.   Senioren (70 Jahre und älter) in Deutschland nach der Nutzungshäufigkeit des Internets 2023 
9.   E-Rezept und ePA – die Schlüssel zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens?
10.  https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2018_02/544932-544932 
11.  https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31786720/ 
12.  Jährlich 30.000 Tote durch Fehlmedikation - Medikationsplan jetzt! 
13.  https://www.amgen.de/stories/551/adhaerenz-bei-chronisch-entzuendlichen-erkrankungen/ 
14.  Wie und wie häufig nutzen Patienten ihren Medikationsplan? 
 

Autoren des Beitrags

Tim Bogdan

Tim Bogdan is a passionate healthtech entrepreneur, company building executive and consultant with more than 10 years of experience in the digital innovation & startup space.

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Matthias Steinberger

Matthias Steinberger is an expert in digital health, strategy, and innovation. Executives and founders work with him to grow their businesses. Besides deep market knowledge and a broad network, he is an experienced startup founder with skills in different roles such as business development, product, project, and marketing.

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