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Sozialsystem zukunftsfähig machen: wie geht das?

Sozialsystem zukunftsfähig machen: wie geht das?

Die Beiträge und Beitragssätze in der gesetzlichen Sozialversicherung steigen kontinuierlich. Die wichtige 40 Prozent-Marke ist gefallen. Angesichts der demographischen Veränderungen und der Leistungsausweitungen hält die Umlagefinanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr Schritt mit der dynamischen Ausgaben-Entwicklung. Für höhere Steuerzuschüsse müssen entweder neue Schulden gemacht oder die Steuern erhöht werden.

Wir haben mit Klaus Kober gesprochen, er ist Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers und bringt sich seit vielen Jahren in die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen der Gesundheitswirtschaft ein, um die sozialen Sicherungssysteme insgesamt generationengerecht und nachhaltig finanzierbar zu machen. Als Mitglied im Gesundheitsausschuss der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU hat er maßgeblich an der Erarbeitung einer Beschlussvorlage für den Bundesvorstand mitgearbeitet, um konkrete Reformvorschläge anzustoßen.

Die Reformen der Sozialsysteme lassen sich nicht länger aufschieben, warum?

Die Abgaben für Arbeitnehmer und Unternehmen haben bereits ein Rekordniveau erreicht, darunter leidet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, insbesondere wenn die Lohnnebenkosten weiter steigen. Es braucht Reformen in allen Zweigen der Sozialversicherung, um die Strukturprobleme anzugehen und zu den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren. Denn die hohen Finanzmittel für Sozialausgaben verhindern dringende Innovationen in den Wirtschaftsstandort, um Deutschland im globalen Marktumfeld wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Also mehr Eigenverantwortung, weniger Leistungen- ist das die Lösung?

Die elementaren Risiken trägt weiterhin die Solidargemeinschaft. Das ist das soziale Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft, und das hat weiterhin Bestand. Die Solidarität endet allerdings dort, wo der Einzelne in der Lage und auch in der Pflicht ist, für sein Auskommen selbst zu sorgen (Subsidiaritätsprinzip).

Ohne wirkungsvolle, strukturelle Reformen der Sozialversicherungen drohen Sozialbeiträge von 50 Prozent oder dramatisch steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt.

Klaus Kober

Das Geld für diese sogenannten „Steuerzuschüsse“ steht allerdings gar nicht zur Verfügung, sondern muss zu Lasten der künftigen Generationen schuldenfinanziert werden. Wir brauchen mehr private und betriebliche kapitalgedeckte Vorsorge und müssen dazu die sozialrechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen verändern. Wer privat vorsorgt, wird steuerlich entlastet, und die Arbeit darf nicht weiter durch Steuer- und Sozialabgaben verteuert werden.

Welche strukturellen Reformmaßnahmen in der Kranken- und Pflegeversicherung führen aus dem Dilemma?

Klaus Kober

Gerne greife ich einige Maßnahmen heraus, die viele Probleme aus meiner Sicht an der Wurzel packen:

Gesetzliche Krankenversicherung

  • Stärkung des Prinzips der Eigenverantwortung durch mehr private Vorsorge und/oder Eigenbeteiligung der Versicherten.
  • Herauslösung versicherungsfremder Leistungen aus der Beitragsfinanzierung der GKV:
    • Übernahme kostendeckender Beiträge für Bürgergeldempfänger aus dem Staatshaushalt an den Gesundheitsfonds
    • Finanzierung der kostenlosen Mitversicherung von Ehepartnern und Kindern aus dem Staatshaushalt
  • Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes für Arzneimittel auf 7%
  • Weiterentwicklung von Versorgungsformen statt neuer Parallelstrukturen (u.a. durch Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen)
  • Ausbau der Digitalisierung, zur Erhöhung von Effektivität und Effizienz und um Bürokratie abzubauen.
  • Eine Krankenhausreform, die Ineffizienzen überwindet, Überversorgung beseitigt und sich am Versorgungsbedarf der Bevölkerung ausrichtet; Ausbau der intersektoralen Versorgung, insbesondere in ländlichen Regionen
  • Mehr Wettbewerb durch größere Vertragsfreiheit zwischen Kassen und Leistungserbringern, auch im Hinblick auf die Gestaltung der Beitragssätze
  •  Stärkere Kostentransparenz, um das Kostenbewusstsein der Versicherten zu erhöhen.
  • Die Finanzierung der Krankenhausinvestitionen durch die Bundesländer muss ausreichend und kontinuierlich sein. Die Krankenhausinvestitionen sollen in vollem Umfang als Investitionszuwendungen an die Krankenhausträger erfolgen.
  • Zusätzliche Belastungen der Corona-Pandemie müssen den Krankenkassen vom Staat erstattet werden

Gesetzliche Pflegeversicherung

  • Keine weiteren Leistungsausweitungen in der SPV
  • Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge
  • Schaffung eines steuerlichen Fördertatbestandes in der privaten Vorsorge
  • Steuer- und Sozialabgabenbefreiung für Arbeitgeberbeteiligung im Rahmen tariflicher, betrieblicher oder arbeitsvertraglicher Lösungen
  • Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige aus dem Staatshaushalt
  • Die Länder müssen ihre gesetzliche Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung nachholen und künftig voll erfüllen

Vielen Dank für das Interview an Klaus Kober, Berater und Experte für Gesundheits­politik, Regionale Gesundheits­versorgung, Ärztliche Bedarfs­planung und Policy Affairs Management.

Quelle:

Gesundheit und Pflege nachhaltig und Generationengerecht finanzieren. Beschluss des MIT-Bundesvorstandes, 4.Juli 2023

Autoren des Beitrags

Klaus H. Kober

Klaus H. Kober is widely-connected in the German healthcare system and an expert in healthcare policy affairs. He works as an independent advisor across the full spectrum of healthcare players.

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