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Gründerwunsch und Versorgungswirklichkeit – die Crux mit digitalen Geschäftsmodellen

HCS Live Talk: Gründerwunsch und Versorgungswirklichkeit – die Crux mit digitalen Geschäftsmodellen

Drei Gründer, die durch die smarte Nutzung von Gesundheitsdaten die Gesundheitsversorgung zum Besseren verändern wollen, waren zu Gast beim Healthcare Shapers Live Talk (1). „Purpose“ ist für sie alle drei ein zentraler Trigger. Doch damit sich ihre Vision von der Präzisionsmedizin, der ganzheitlichen Präzisionsgesundheit und dem schmerzfreien Leben für viele Millionen Menschen erfüllen kann, brauchen sie tragfähige Geschäftsmodelle. 

Nicht mehr als eine Pizza!

Mit diesem markanten Vergleich weckt Dr. Ali Tenazli (2), der Arzt und Gründer von Lifespin (3), beim LiveTalk der Healthcare Shapers (1) Interesse für seinen methodischen Ansatz: Die Analyse des individuellen Metaboloms als Grundlage für eine personalisierte Medizin soll in Zukunft einmal nicht mehr kosten als eine Pizza.

Nicht länger als 3 Minuten!

Das verspricht der Osteopath und Physiotherapeut Alexander Srokovskyi (4) mit seiner App, die Haltungsschäden mit der Kamera eines Smartphones aufspürt und auf Basis einer KI-gestützten Analyse eine Bewegungsempfehlung ausspielt. Bereits nach drei Minuten Bewegungstraining täglich verbessert sich die Haltung sichtbar. Und auf diesem Weg bahnt die App insbesondere Kindern den Weg in ein schmerzfreieres Leben. 

Nicht länger fragmentiert denken und handeln, wenn es um Gesundheit geht!

Ganzheitliche Präzisionsgesundheit, die Menschen befähigt, ihre individuellen Potentiale zu entfalten, darum geht es dem Biochemiker, Molekularbiologen und Digital Health Experten Oliver Gassner (5). Mit seinem neuen Gesundheitsmarktplatz Holofy (6) spricht er Menschen an, die Gesundheit als Einklang von Körper, Geist und Seele verstehen. Sein hybrides Angebot umfasst die Entwicklung einer individuellen Gesundheits-Roadmap. Darauf abgestimmt, erhalten Kunden Zugang zu persönlicher Beratung und zu nachhaltigem Gesundheitscoaching. Beides soll niedrigschwellig und bezahlbar angeboten werden.

Use Case 1 - Liquid Biopsy

Dr. Ali Tinazli: Ein winziger Tropfen Blut trägt den Schlüssel zur gesamten Krankengeschichte und revolutioniert die medizinische Versorgung. Wie funktioniert das? 

Aus den pathologischen Veränderungen der Stoffwechselmuster eines jeden Menschen lassen sich mit Hilfe von Algorithmen Rückschlüsse ableiten auf das individuelle Krankheitsgeschehen im Körper, das häufig erst viel später in der vollen Ausprägung als Diagnose, wie Krebs oder Demenz, zutage tritt.

Krankheitsbilder gehen mit Metabolom-Veränderungen einher

Komplexe Stoffwechselketten zu analysieren und die Veränderungsmuster dann pathologischen Krankheitsbildern zuzuordnen, dazu braucht man nicht tausende von Datensätzen, wie viele denken. Voraussetzung ist allerdings, dass die Datenqualität stimmt, d. h. die Daten strukturiert und vollständig vor liegen und man einen Selektionsbias ausschließen kann. Dann funktioniert das sehr gut, so dass wir heute bereits 300 Krankheitsbilder mit veränderten Metabolom-Mustern assoziieren können und diesen Ansatz in der Diagnosefindung nutzen.

Die individuellen Metabolom-Muster können wir auch als Frühindikator nutzen, um vorhersagen zu können, ob eine Therapie anschlägt, ob die Progression einer Erkrankung durch eine Intervention gestoppt werden kann, oder ob z. B. ein Rezidiv wieder aufflammt. Es liegt auf der Hand, dass sich damit die Möglichkeiten der Früherkennung und der Behandlung von Krankheiten enorm erweitern, wir werden so unsere Ressourcen viel gezielter einsetzen können. Somit können wir die Effektivität und Verträglichkeit der Therapien verbessern: Das ist Präzisionsmedizin
Und natürlich macht man sich das auch in der Planung und Durchführung von klinischen Studien zu Nutze, um früher die Patienten zu erkennen, die von einer Intervention profitieren können und diese Informationen berücksichtigen. Das spart Zeit und Geld! 

Wer bezahlt für diese Analysen?

Mit unserem Modell adressieren wir zum einen den Selbstzahlermarkt: Menschen bezahlen aus eigener Tasche, weil sie von personalisierten Therapieansätzen ein Mehr an Wirksamkeit und Verträglichkeit erwarten. Grundsätzlich muss der Ansatz den Nutzen im klinischen Alltag zeigen, dann kann im Rahmen der Fallpauschalen auch abgerechnet werden. Das Interesse von Laborketten im Eurasischen Raum ist hoch. Unsere Software liefert die Basis für neue, hybride Geschäftsmodelle.

Wenn unsere Untersuchung, die wir als Liquid Biopsy entwickelt haben, in der Breite als Standard etabliert sein wird, wird sie durch Skalen-Effekte in Zukunft zu einer günstigen Laboruntersuchung, viel günstiger als heute der Nachweis einzelnen Blutwerte. Darüber hinaus sparen wir in der Versorgung von Patienten diagnostischen und therapeutischen Ressourcen ein, weil wir sie viel präziser bei den Patienten einsetzen, die z. B. als wahrscheinliche Responder von Interventionen profitieren. Die als Non-Responder identifizierten Patienten bekommen die Therapie erst gar nicht und ersparen sich damit die unerwünschten Wirkungen.
 

Use Case 2: Die App, die Haltungsschäden erkennt und behandelt

Alexander Srokovskyi: Körperhaltung und Schmerz sind eng verzahnt. Früher handeln, Schmerzschicksale verhindern, wie arbeitet Ihre App?

Ich hatte als Kind selbst eine Skoliose, d. h. eine Deformation der Wirbelsäule. Der Schmerz war mein täglicher Begleiter, ich wurde damit zum Außenseiter, bin als Kind oft gehänselt worden. Das will und kann ich anderen Kindern ersparen und das treibt mich als Gründer an. Das Problem „Fehlhaltung“ müssen wir früher erkennen. Je einfacher das möglich ist, umso früher können wir handeln. Deshalb gehen wir mit der Aktion Schmerzfreie Zukunft (7) in die Schulen. Mit Hilfe unserer App spüren wir Haltungsschäden auf. Das kann dann jeder tun, der ein Smartphone hat. Und jeder kann auch unmittelbar selbst erfahren, wie schnell und positiv sich die kurzen Bewegungsanleitungen auswirken. Die App spielt die Anleitung zu körperlichen Übungen digital aus. Man bewegt sich nach Anleitung, und es gelingt in kürzester Zeit, die Haltung sichtbar und spürbar zu verbessern. Wir finanzieren die Initiative in den Schulen derzeit mit Spendengeldern.

Geschäftsmodell – DiGA – kein Thema!

Grundsätzlich bieten wir unsere App Ärzten und Physiotherapeuten an. Sie nutzen die App in der Behandlung ihrer Patienten und berechnen ihre Leistungen dann Patienten weiter. Grundlage ist die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und die Physiotherapeuten rechnen ihre Leistungen über den Heilmittelkatalog ab.

Die App als DiGA (App auf Rezept) aufzusetzen ist im Kontext einer globalen Strategie eher schwierig. Der Knackpunkt ist die Datennutzung. Wenn wir die Daten in einer DiGA nach drei Monaten löschen müssen, ist das für internationale Investoren nicht mehr spannend, das schmälert die Erkenntnisse und damit den Nutzen, z. B. in der Verlaufskontrolle und für die Weiterentwicklung zukünftiger Versorgungsmodelle.

Use Case 3: Ein Marktplatz für ganzheitliche Präzisionsgesundheit

Gesundheitsversorgung bedeutet in Deutschland immer noch primär, Krankheiten zu behandeln. Trotzt hoher Gesundheitsausgaben von mehr als 470 Mrd. Euro pro Jahr liegt Deutschland im Ranking der Lebenserwartung in Europa weit hinten (8). Wir geben keine 2 Prozent für Prävention und Gesundheitsschutz aus und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ist insgesamt gering (9). Menschen wollen als Mensch mit Körper, Geist und Seele wahrgenommen und behandelt werden. 

Dr. Oliver Gassner, Holofy stößt genau in diese Lücke: Was genau ist das Angebot?

Viele Menschen, z. B. mit Autoimmunerkrankungen finden im konventionellen, fragmentierten Gesundheitssystem wenig Hilfe. Sie suchen nach Lösungen, die ganzheitlich greifen, um sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig besser zu fühlen. Mit Holofy setzen wir hier an. Wir wollen Menschen befähigen, sich selbst zu helfen, zu lernen und zu verstehen, was sie gesund und glücklich macht. Wir setzen dabei auf Potential-Entfaltung, d. h. es geht darum, die individuellen Ressourcen der Menschen zu stärken (6). Dazu entwickeln wir eine persönliche Gesundheits-Roadmap auf Basis der Ziele und Möglichkeiten. Das passiert fragebogen-gestützt und online auf einem wissenschaftlich fundierten Algorithmus. Das Ergebnis zeigt, wo der einzelne steht, und wo er ansetzen kann in seiner individuellen Potentialentfaltung. Wir lenken also nach der Analyse gezielt zu den persönlichen Beratungsangeboten, die helfen können. Unser Marktplatz bietet also ganzheitliche Präzisionsgesundheit. Auf unserer Plattform werden Bedarf und Bedürfnisse identifiziert und Lösungsanbieter vermittelt. Dieses Holistic Wellbeing wollen wir leicht zugänglich und bezahlbar machen. 

In der Präzisionsgesundheit setzen wir derzeit auf Selbstzahler

Im Moment richtet sich unser Angebot an Selbstzahler, die den Support von Coaches und der Holofy Community nutzen, um ihre gesundheitsförderlichen Routinen zu verstetigen und auf ihrer individuellen Gesundheits-Roadmap besser voranzukommen. Sie bekommen Zugang zu einem umfassenden Set von wissenschaftlich-basierten Selbsttests, um sich selbst besser kennenzulernen, die passenden Unterstützungsangebote zu finden und damit Gesundheit und Wohlbefinden zu steigern. Die Partner auf unserem Marktplatz liefern ihre Gesundheitsberatung zu fairen Konditionen. Mit unserem „Freemium-Modell“ ist der Zugang für unsere Kunden damit sehr niedrigschwellig. 

Fazit: Gründerwunsch und Versorgungswirklichkeit

Die Diskussion beim Healthcare Shapers Live-Talk um die Crux mit Geschäftsmodellen für datengestützte Innovationen hat gezeigt:

1. Es geht nicht ohne starken Purpose.
Alle drei Gründer verbindet ein starker Antrieb, das Leben von Menschen zu verbessern. Aus diesem Sinn schöpfen sie die Kraft, Durststrecken zu überwinden und ihren großen Ideen Leben einzuhauchen.

2. Es braucht eine klares Business Modell für Wertschöpfung von Anfang an.
Alle drei Gründer schätzen die Rahmenbedingungen in Deutschland als gar nicht so schlecht ein. Wenn eine Versorgungslösung Nutzen schafft, finden sich Therapeuten und Institutionen, die bestehende Abrechnungsmöglichkeiten im System nutzen, z. B. über Fallpauschalen oder über Abrechnung der Leistung nach GÖA. Sie setzen parallel auf informierte, kaufkräftige Selbstzahler, die die Vorteile der modernen Präzisionsmedizin und Präzisionsgesundheit erkennen und nutzen wollen noch bevor diese zum Versorgungsstandard werden und als Kassenleistung verordnet werden können.

3. Gesundheitsversorgung innovativ zu verändern: Das geht, wie die drei Beispiele eindrücklich zeigen. 

Danke an die drei Gründer für die motivierende Diskussion beim Healthcare Shapers Live Talk. Er wurde moderiert von Günther Illert, dem Gründer des Netzwerks und Dr. Ursula Kramer, Digital Health Expertin im Netzwerk, die die Diskussion in diesem Beitrag zusammengefasst hat.

 

Quellen:

  1. Healthcare Shapers Live Talk, 21.11.2023. 
  2. Dr. Ali Tinazli, CEO Lifespin GmbH 
  3. Lifespin GmbH 
  4. Dr. Axexander Srokovskyi Co-Founder iPlena 
  5. Oliver Gassner Gründer von Holofy Health 
  6. Holofy: Manifesto 
  7. Initiative Schmerzfrei. 
  8. Lebenserwartung: Deutschland in Westeuropa unter den Schlusslichtern 
  9. Zweiter Präventionsbericht. Die Nationale Präventionskonferenz Juni 2023 chrome

Autoren des Beitrags

Dr. Ursula Kramer

Ursula Kramer is a Digital Health Expert who advises companies on successfully placing their innovations in the healthcare market, establishing sustainable business models for small and medium-sized pharmaceutical and medtech companies as well as for Startups.

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