
Quantencomputing macht rasante Fortschritte. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenforschung ausgerufen (1) und feiern die Begründung der modernen Quantenmechanik vor 100 Jahren durch den deutschen Physiker Werner Heisenberg.
Im folgenden Interview teilt Marcus Kind (2), Experte für Geschäftstransformation & Digitalisierung und Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers seine Perspektiven auf den aktuellen Entwicklungsstand des Quantencomputings und beleuchtet Chancen und Risiken insbesondere für die Arzneimittelforschung und die medizinische Versorgung. Auf welche Veränderungen müssen sich die Marktakteure zeitnah einstellen (3, 4)?
Was verstehen wir unter Quantum Computing?
Das ist eine revolutionäre Technologie, die auf den Prinzipien der Quantenmechanik basiert. Im Gegensatz zu klassischen Computern, die Informationen in Bits (0 oder 1) verarbeiten, nutzen Quantencomputer Quantenbits, sog. Qubits, die gleichzeitig 0 und 1 darstellen können. Diese Fähigkeit ermöglicht es Quantencomputern, komplexe Probleme viel schneller zu lösen als klassische Computer (5). Zukünftige Anwendungen von Quantencomputern könnten in Bereichen wie Logistik, Finanzen und Fertigung liegen, sowie im Gesundheitsbereich und in der medizinischen Forschung ungeahnte Möglichkeiten eröffnen (6)
Anwendungsbeispiele im Medizinischen Kontext
- Strahlentherapie: Optimierte Behandlungspläne mit kürzere Bestrahlungseinheiten, die in Echtzeit angepasst werden und bessere Outcomes sowie überlegene Verträglichkeit (7) zeigen.
- Personalisierte Medizin: Vorhersage von Arzneimittelwirkungen beim individuellen Patienten auf der Grundlage seines genetischen Profils (8).
Was macht diese Technologie so spannend und nachhaltig disruptiv?
„Quantum-Computing hat das Potenzial, Probleme zu lösen, die für Standardcomputer zu komplex sind. Stark vereinfacht: Während klassische Computer zur Lösung einer Rechenaufgabe mehr oder minder stur alle Möglichkeiten nacheinander abarbeiten, können Quantencomputer mehrere Lösungen für die Aufgabe gleichzeitig durchspielen. Künstliche Intelligenz (KI) ist beispielsweise ein idealer Anwendungsfall für Quantencomputer, die sowohl die Geschwindigkeit der Mustererkennung als auch die Effizienz der Algorithmen von KI-Anwendungen dramatisch beschleunigen können. Im Vergleich zu klassischen Computern können sie insbesondere kombinatorische Optimierungsprobleme in kürzester Zeit bewältigen. Quantum-Computing ist eine technische Disruption, die mit nichts vergleichbar ist, was wir bislang aus der Computer-Technologie kennen – ein echter Quantensprung, der unsere Zukunft in vielerlei Hinsicht entscheidend beeinflussen wird.“
Wo erwartest Du die größten „Quantensprünge“?
„Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass allein aufgrund der enormen Rechenleistung von Quantencomputern ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge von Daten und deren Nutzbarkeit erreicht werden kann. Optimierungsaufgaben, wie sie sich beispielsweise in der Logistik beim Demand-Capacity-Matching zur Erreichung eines verbesserten ATP (Available-to-Promise) in komplexen Lieferketten stellen, könnten zukünftig deutlich schneller und exakter gelöst werden.
Quantumtechnologie ist auch für den Gesundheitssektor von hohem Interesse. In Kombination mit KI könnten Diagnosen mittels verbesserter Bildgebungsverfahren zukünftig schneller und zuverlässiger gestellt werden. In der Arzneimittelforschung wird sich das Screening nach neuen Wirkstoffen deutlich beschleunigen. Quantencomputer werden ein tieferes Verständnis ermöglichen über chemische Bindungen, Moleküleigenschaften und Reaktionsdynamiken. Bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe wird das Forscher in die Lage versetzen, komplexe Experimente auf dem Computer zu simulieren, um zugrundeliegende natürliche Prozesse schneller und besser zu verstehen.
Auch die Planung klinischer Studien, um die Wirksamkeit und Sicherheit eines Wirkstoffs zu testen, wird sich dank QT effizienter gestaltet lassen. Aufgrund ihrer Komplexität und der hohen Anzahl und oft undurchsichtigen Interaktion von sich gegenseitig beeinflussenden Parametern ist eine optimale Studienplanung mit klassischen Computern heute so gut wie unmöglich. Quantenalgorithmen könnten Abhilfe schaffen."
Neuromorphes Computing - Was ist das?
Neuromorphes Computing ist ein Bereich der Technologie (9,10), der darauf abzielt, die Architektur von Computern zu gestalten, sodass sie das menschliche Gehirn nachahmen. Das Ziel ist es, die Effizienz der Informationsverarbeitung zu verbessern, indem die Art und Weise, wie neuronale Netze im Gehirn funktionieren, auf Hard- und Softwareebene nachgebildet wird. Dadurch sollen Computer schneller, energieeffizienter und fähiger werden, komplexe kognitive Aufgaben auszuführen, d. h. extrem hohe Rechnerleistung bei minimalem Energieverbrauch!
Wo stehen wir heute in der Entwicklung des sog. Neuromorphen Computings?
"Die von der Gesellschaft bislang weitgehend unbemerkten, aber rasch voranschreitenden Entwicklungen in den Neurowissenschaften lassen aufhorchen. Neuromorphes Computing ahmt die Funktionsweise unseres Gehirns nach. Bei der Entwicklung hierzu erforderlicher Hardware und Software werden die neuronalen und synaptischen Strukturen und Funktionen des Gehirns simuliert, um Informationen zu verarbeiten. Die EU hat Fördermittel bereitgestellt mit dem Ziel, einen neuronalen Netzwerkcomputer zu bauen, der nach quantenmechanischen Prinzipien arbeitet. Neuromorphe Computer verfügen über ein enormes Potenzial für die Datenmustererkennung, -analyse und -vorhersage und verfügen über vielfältige Anwendungsmöglichkeiten beispielsweise auch in der medizinischen Diagnostik sowie in der Steuerung von Prothesen und Exoskeletten für gelähmte Menschen (11,12 )."
Warum sollten die Marktakteure schon heute damit beginnen, die Quantenkompetenz in ihren Unternehmen aufzubauen?
„Quantentechnologien werden weltweit mit Hochdruck erforscht. Quantencomputer gibt es zwar schon, aber sie sind noch nicht reif für universelle Anwendungen. Die Entwicklung von Quantum-Hardware, Quantenalgorithmen und Fehlerkorrekturtechniken befindet sich noch in einer frühen Phase. Was die Herstellung von Quantenprozessoren betrifft, sind neue Aufbau- und Verbindungstechniken erforderlich. Die Integration von Quantum-Technologie in bestehende Systeme erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Wirtschaft, Politik und Regulatorik. Quantenkompetenz zu entwickeln, das braucht Zeit. Um den Anschluss nicht zu verlieren, sollten die Unternehmen damit starten und sich die Frage stellen, wie sie in ihren Geschäftsmodellen von der Quantentechnologie profitieren können, wie das ihre Wettbewerbsposition verändern kann und auch, was sie tun müssen, um sich vor den Gefährdungen durch Quantentechnologie zu schützen und so den entscheidenden Schritt voraus zu sein."
Wenn wir auf das technologisch innovative Ökosystem in Deutschland schauen: Wo stehen wir derzeit?
„Die Entwicklungsabteilungen großer internationaler Gesundheitskonzerne wie Merck (13) oder Johnson & Johnson (14) setzen sich bereits seit Jahren eingehend mit den Möglichkeiten der Quantentechnologie auseinander, um ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Dabei setzen sie auch auf Technologiepartnerschaften mit innovativen Startups.
Auch Deutschland verfügt über ein innovatives Umfeld für Quantentechnologien mit aufstrebenden Startups sowie kleinen und mittleren Unternehmen, die praktische Anwendungen für Quantencomputer entwickeln. Im Vergleich zu den USA, der Nummer 1 in dieser Technologie, fallen die deutschen Unternehmen im Hinblick auf Marktkapitalisierung und Größe deutlich ab. Zur vollen Ausschöpfung des Potenzials von Quantentechnologien hierzulande fehlt es oft noch an den (finanziellen) Möglichkeiten, um z.B. wichtige Hardware-Entwicklungen anwendungsnah testen und in Prototypen überführen zu können."
Welche Herausforderungen kommen in Punkto Sicherheitskonzepte und Ethik-Fragestellungen auf Unternehmen durch Quantentechnologie zu?
„Quantum-Computing eröffnet nicht nur neue Anwendungsmöglichkeiten, sondern birgt auch Risiken für viele Branchen (15), die wie z.B. das Gesundheitswesen auf kryptografische Sicherheitsverfahren angewiesen sind. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Quantum-Computing leistungsfähig genug sein wird, um heute eingesetzte Public-Key-Kryptografie (PKI), wie sie beispielsweise zur Absicherung digitaler Kommunikation mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) zum Einsatz kommt, zu gefährden. Deshalb s ist es unverzichtbar, Sicherheitssysteme mit neuen kryptografischen Verfahren vorzubereiten."
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) prognostiziert den sogenannten Q-Day, also den Zeitpunkt, ab dem leistungsfähige Quantencomputer in der Lage sein werden, gängige Kryptographie-Methoden zu entschlüsseln, bereits auf das Jahr 2030 (16).
Was ist ein Brain-Computer-Interface?
Ein Brain-Computer-Interface (BCI) ist eine Technologie, die eine direkte Kommunikationsbrücke zwischen dem Gehirn eines Menschen und einem externen Gerät herstellt. Diese Schnittstelle ermöglicht es, Gehirnsignale in Echtzeit zu erfassen und in Befehle für Maschinen, Computer oder andere Technologien umzuwandeln. Dadurch können beispielsweise Prothesen gesteuert, Computer bedient oder Kommunikationshilfen genutzt werden, ohne dass traditionelle physische Eingabegeräte wie Tastaturen oder Mäuse erforderlich sind (17).
"Die Entwicklung bi-direktionaler, im großen Umfang skalierbarer Gehirn-Computer-Schnittstellen wird zwar noch etwas Zeit in Anspruch nehmen – die Innovationsrichtung ist jedoch eindeutig und birgt aus meiner Sicht grundsätzlich viel positives Potenzial, z. B. auch im Bereich der Demenztherapie. Gleichzeitig gilt es, das hohe Missbrauchspotenzial von Anwendungen, die Gehirnaktivitäten auslesen, diese mit Hilfe von KI interpretieren und durch Gehirn-Stimulation unmittelbar anpassen können, unter Kontrolle zu halten. Es stellen sich viele ethische Fragen, z. B. wann könnte es vertretbar sein, Gedanken auszulesen?"
Zum Schluss, das Fazit?
"Um die Breite der vielversprechenden Innovationsmöglichkeiten chancenorientiert zu fördern und den Einfluss der skizzierten Quantencomputing Technologien verantwortungsvoll zu steuern, braucht es sowohl in der EU (18) also auch auf internationaler Ebene regulatorische und ethische Leitplanken in Form von Gesetzen, Richtlinien, Normen und Verfahren.“
Das Interview mit Dr. Marcus Kind hat die Digital Health Expertin und Partnerin im Netzwerk der Healthcare Shapers, Dr. Ursula Kramer geführt.
Quellen:
- https://quantum2025.org/
- Marcus Kind https://www.healthcareshapers.com/consultants/dr-marcus-kind
- Cybersecurity und Compliance ganzheitlich denken und umsetzen; Marcus Kind, 2025 https://www.taskforce.net/de/services-faq/news-presse/news/630-cybersecurity-compliance-ganzheitlich-denken-und-umsetzen
- KI-Innovationen ganzheitlich gedacht – Die Künstliche Intelligenzverordnung, Marcus Kind, 2025
- Video: Fraunhofer – Funktionsweise und Anwendung von Quantencomputern
- Quantum Computing in Medicine, Chow J., J MedSci 2024 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39584917/
- Rahimi, M.; Asadi, F. Oncological Applications of Quantum Machine Learning. Technol. Cancer Res. Treat. 2023, 22, 15330338231215214. [CrossRef]
- Hevia, J.L.; Murina, E.; Martínez, A.; Peterssen, G. Quantum Software Engineering and Programming Applied to Personalized Pharmacogenomics. In Quantum Software: Aspects of Theory and System Design; Springer: Cham, Switzerland, 2024; pp. 285–330
- Neuromorphes Computing Definition: https://www.iis.fraunhofer.de/de/ff/sse/ic-design/neuromorphic-computing.html
- Neuromorphes Computing. Boosting AI with neuromorphic computing. Nat Comput Sci 5, 1–2 (2025).Boosting AI with neuromorphic computing | Nature Computational Science https://doi.org/10.1038/s43588-025-00770-4
- https://qant.com/de/pressemitteilung/durchbruch-quanten-magnetfeldsensor-soll-prothesen-exoskelette-und-avatare-mit-nervensignalen-steuern/
- https://www.iaf.fraunhofer.de/de/medien/pressemitteilungen/projektstart-neuroq.html
- Merck: https://www.merckgroup.com/en/research/science-space/envisioning-tomorrow/smarter-connected-world/quantum-computing.html
- Interview with Herman Van Vlijmen, Johnson & Johnson about potential of quantum computing https://thequantuminsider.com/2024/07/01/quantum-computing-for-pharma-with-johnson-johnson/
- Quantencomputer: Die (noch) unterschätzte Gefahr 26. Februar 2025, 8:00 Uhr | Autorin: Raphaela Schätz Quantencomputer: Die (noch) unterschätzte Gefahr - Security - connect professional
- Q-Day: BSI: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Publikationen/Magazin/BSI-Magazin_2024_02.pdf?__blob=publicationFile&v=9
- Brain-Computer-Interface: https://www.netzpiloten.de/brain-computer-interfaces-bci-einfach-erklaert/
- Will quantum computing be the next focus for EU Regulatory Action? 08/2024 https://visionsforeurope.eu/technology-news/will-quantum-computing-be-the-next-focus-for-eu-regulatory-action/