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Cannabis, KI und hitzige Debatten

Cannabis, KI und hitzige Debatten - expopharm 2024

Rund 24.000 Besucher, 500 Aussteller und ein Programm mit über 200 Vorträgen gespickt mit Wissenschaft, Innovation und Inspiration – so präsentierte sich die expopharm 2024 in München (1). Mit dabei Andre Pöhler, Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers (2). Als erfahrener CRM-Experte und Kenner des Apothekenmarktes berichtet er für uns aus München.

Stelldichein von Messe-Rückkehrern & Newcomern

Die Großen sind wieder da, vielleicht nicht mehr mit ganz so imposanten Messeständen, wie früher. Die Messe wirkt insgesamt homogener mit einem Nebeneinander der Neuen und vielen Rückkehrer, darunter namhafte RX-Anbieter wie AstraZeneca, GlaxoSmithKline, Mylan Deutschland, Pfizer Pharma und Zentiva Pharma. Und auch die bekannten OTC-Anbieter Infectopharm, Angelini Pharma Deutschland und HEXAL waren in München dabei. 

Die expopharm hat offensichtlich wieder an Attraktivität gewonnen. 

Neue Formate für noch mehr Vernetzung, Austausch, Inspiration 

Die Pharma-World, das akkreditierte wissenschaftliche Vortragsprogramm rund um die pharmazeutische Beratungskompetenz im Apothekenteam, war auch in diesem Jahr das Herzstück der Expopharm (3). In diesem Jahr von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft DPhG ergänzt durch eine Posterausstellung, bei der Doktoranden ihre wissenschaftlichen Arbeiten einem großen Publikum präsentieren konnten. 
Auch der expopharm Gründungs-Preis wurde zum ersten Mal verliehen (4). Der Mut der Gründer wird ausgezeichnet, die in der deutschen Apothekenlandschaft trotz vieler Unsicherheiten und schwieriger Rahmenbedingungen mit innovativen Gründungskonzepten und herausragenden Übernahmen überzeugen. Ein wichtiges Zeichen!

Das InspirationLAB als interaktives Fortbildungs- und Austauschformat, das auf die Apotheke der Zukunft fokussiert, ging in diesem Jahr mit einer Networking PowerHour am Ende jeden Messetages quasi in die Verlängerung (5): Noch mehr Möglichkeit für Messebesucher, Aussteller und Speaker sich auszutauschen und gegenseitig zu inspirieren. 
Ebenfalls neu und exklusiv für den pharmazeutischen Nachwuchs: Das Young Pharmacists Event für Studierende, Pharmazeuten im praktischen Jahr und jungen Approbierte (6). Das eigene berufliche Netzwerk aufzubauen ist gerade am Anfang der beruflichen Karriere von unschätzbarem Wert, der exklusive Abend bot dazu eine ideale Gelegenheit!

Impulse durch Innovation

In der newcomer-area präsentierten sich innovative Start-ups und junge Unternehmen der Branche. Beim Start-up-Pitch traten sie mit ihren Projekten aus dem Apotheken- und Gesundheitsmarkt gegeneinander an und präsentierten ihre Produkte und Dienstleistungen live auf der Bühne vor interessiertem Publikum.
Beim apostart Award waren erstmalig auch die Apothekenteams aufgerufen in der 'Kategorie 1 ihre Ideen für die Apotheke der Zukunft und neue Lösungen für die wirtschaftliche Prozessoptimierung vorzustellen, der Sieger ist ein Apotheker, der mit der KI-Assistentin „Lena“ die Arbeit in seiner Offizin-Apotheke deutlich vereinfacht (7). In der Kategorie 2 für die besten Ideen von Unternehmen, konnte das Startup hellomed punkten (8). Tim Bogdan (9), einer der Gründer, ist Partner im Netzwerk der Healthcare Shapers. 

Mit der Softwarelösung von hellomed adressiert Tim Bogdan die Herausforderungen der Polymedikation von Menschen, die im häuslichen Pflegeumfeld oder in Pflegeheimen versorgt werden. 

Sicherer und effizienter soll die Arzneimittelversorgung für diese Zielgruppe werden: Dafür gab es den 2. Platz der Jury. Herzlichen Glückwunsch an hellomed und Tim Bogdan.

Thematische Leicht- & Schwergewichte

Natürlich war auch Künstliche Intelligenz KI in der Apotheke in München ein Thema. KI-Anwendungen für Use Cases, die pharmazeutische Prozesse und Dienstleistungen in der Offizin-Apotheke optimieren, wurden allerdings nicht in der Intensität durchdekliniert, wie man das z. B. beim Big Bang Health KI Festival (10) im September in Berlin erleben konnte. Aber immerhin war eine KI-Assistentin auf Platz 1 der Star beim apostart Award und damit auch ein bisschen Hoffnungsträger, dass sich dank KI auch in der Offizin-Apotheke Vieles zum Besseren wendet, und sich überbordende Dokumentation, Bürokratie und die wahnsinnige Informationsflut zukünftig besser meistern lassen.

Medizinalcannabis ist wieder da!

Zur Verwunderung vieler, wurde Medizinalcannabis in diesem Jahr bei der expopharm wieder zu einem großen Thema. Aufgrund gesetzlicher Änderungen fällt Medizinalcannabis seit 1.04.2024 nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz (11), d. h. Rezepte müssen nicht mehr einzeln geprüft und genehmigt werden. 

Cannabis lässt sich jetzt, wie jedes andere Arzneimittel auch, auf e-Rezept verordnen.
Das hat die Umsatzzahlen explodieren lassen, die Gründung vieler Start-ups getriggert und in ganz Europa Plantagen entstehen lassen, die die hohen Anforderungen an den Anbau von Medizinalcannabis erfüllen und die Versorgungslage kontinuierlich verbessern. Damit steigt auch die Nachfrage nach Beratern, die jetzt erfolgreiche Verkaufsstrategien für Medizinalcannabis entwickeln können. Viele Consultants aus dem Netzwerk der Healthcare Shapers, die den Markt schon aus der Anfangsphase des Medizinalcannabis kennen und wissen, wie man verschreibungspflichtige Arzneimittel vermarktet, sind geradezu prädestiniert für diese Aufgabe. Hier geht es zur Consultantsuche (12).

André Pöhler und Kristina Nix, Healthcare Shapers bei der expopharm

Foto: Healthcare Shapers bei der expopharm 2024: Kristina Nix und André Pöhler 

Telemedizin & e-Rezept – ein Einfallstor für Cannabis-Missbrauch 

Es gibt leider auch Schattenseiten: Auf der expopharm berichteten Apotheker von Ärzten im europäischen Ausland, die den Weg über Telemedizin und e-Rezept ganz bewusst nutzen, um Medizinalcannabis ohne gründliche Anamnese und enge Diagnosestellung über die europäischen Landesgrenzen hinweg zu verschreiben. Der Verdacht liegt nahe, dass Medizinalcannabis hier missbräuchlich zum Einsatz kommt. 

Der Gesetzgeber ist gefordert, nachzubessern und potenziellem Missbrauch von Medizinalcannabis entgegenzuwirken.

Hitzige Diskussion beim Apothekertag

Mit der expopharm findet traditionell auch der Deutsche Apothekertag statt. Karl Lauterbach stellte sich als Gesundheitsminister den Fragen der Apothekerschaft und präsentierte seine Vorschläge zur Apothekenreform (13), mit der er die Arzneimittelversorgung in Deutschland zukunftssicher machen will. 

Jeden Tag schließt eine Apotheke in Deutschland

Die Zahl von rund 21.000 Apotheken, die es zur Jahrtausendwende gab, ist inzwischen auf ca. 17.000 geschrumpft. Kommen auf 100.000 Einwohner europaweit im Schnitt 32 Apotheken, sind es in Deutschland lediglich 21 (14), und deren wirtschaftliche Lage sei schlecht und spitze sich weiter zu.
Laut ABDA sind es vor allem die verschleppten Honoraranpassungen, die Apotheken hierzulande zur Schließung zwingen. Drei Prozent vom Verkaufspreis und ein Fixhonorar von 8,35 Euro bei der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels und keine Erhöhung seit 2013, das passe nicht zur Kostenentwicklung. Während die Vergütung der Apotheken in ihrem Kerngeschäft in dieser Zeit um lediglich 10 Prozent gestiegen sei, seien Sach- und Personalkosten im gleichen Zeitraum regelrecht explodiert. Dazu kommt noch der Apothekenabschlag, der Anfang 2023 im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) für verschreibungspflichtige Arzneimittel um 23 Cent pro Packung erhöht wurde, um die finanziell angeschlagenen gesetzlichen Krankenversicherungen zu entlasten (15). 

Für Apotheker hat sich das Ertragsfenster weiter verringert. 

Kommt jetzt die Apotheke ohne Apotheker?

Karl Lauterbach kündigte an, die Vergütung von Leistungen der Apotheken zu erhöhen, jedoch nicht, ohne die Mehrausgaben durch einen Strukturwandel zu finanzieren. Das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) (14), das noch in dieser Legislaturperiode kommen soll, sieht deshalb die „Apotheke ohne Apotheker“ als neue Option vor.  Apotheken können demnach ohne Apotheker betrieben werden, ein Apotheker solle per Telemedizin hinzugezogen werden können, falls das notwendig sei. Weil die Begrenzung der Filialapotheken auf maximal drei bestehen bleibe, die sich außerdem in geographischer Nähe befinden müssten, könnten Versandapotheken von dieser neuen gesetzlichen Regelung nicht profitieren.

Damit sich Apotheke wieder lohnt

Neue Tätigkeitsfelder für Apotheken 

Gleichzeitig sollen Apotheker in größerem Umfang Schutzimpfungen durchführen und u. a. auch stärker eingebunden werden in die Risikofrüherkennung und Therapieunterstützung von Hypertonikern. Wie sich das mit neuen Telemedizin-Konzepten bewerkstelligen lässt, blieb in der Diskussion offen. 

Der Widerstand gegen diese Apothekenreform war auch in München deutlich spürbar.

Wirtschaftlich erfolgreich – Metropolitan Pharmacy

Dass man heute eine Offizin-Apotheke trotz schwieriger Rahmenbedingungen auch wirtschaftlich erfolgreich betreiben kann, zeigt das Beispiel der Metropolitan Pharmacy an drei Standorten auf dem Frankfurter Flughafengelände (17): Geringer Rezeptanteil (Wer geht schon zum Frankfurter Flughafen, um ein Rezept einzulösen?), Spitzenmieten, die vermutlich zu den höchsten in Frankfurt zählen, und dabei ein rentabler Apothekenbetrieb? Die drei Apotheken scheinen jedenfalls zu funktionieren und legen den Fokus auf Services und Dienstleistungen in Sachen Gesunderhaltung und Prävention und optimieren den Abverkauf von Nahrungsergänzungsmitteln und freiverkäuflichen OTC-Arzneimitteln

Metropolitan Pharmay - eine Blaupause für die Apotheke der Zukunft? 

Wohl kaum, solange es zentraler Auftrag der Apotheken bleibt, die Arzneimittelversorgung rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche bundesweit und vor allem wohnortnah sicherzustellen, auch an Standorten mit wenig attraktiven Lauflagen.

Networking- & Austausch-Event Nr. 1

Die expopharm 2024 warf ein starkes Blitzlicht auf die pharmazeutische Versorgungsrealität und die wirtschaftliche Lage der Apotheken in Deutschland. Kleine und mittelgroße Anbieter und Aussteller haben das Messebild geprägt, große Platzhirsche reihten sich ins Geschehen ein. Die Cannabis-Szene brachte spürbar Innovation und Dynamik in die Hallen ebenso die lebendigen Startup-Landschaft
Neue technische Möglichkeiten durch KI-Anwendungen lassen auf Prozessinnovationen hoffen, werden Tätigkeitsfelder und Rollen-Profile verändern, um die Apotheke vor Ort trotz Fachkräftemangels und schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen in eine wirtschaftlich solide Zukunft zu führen. 
Für Apothekeninhaber, deren Teams, die pharmazeutische Industrie und das gesamte Dienstleisterspektrum dieser Branche bleibt die expopharm das Networking- und Austausch-Event Nr. 1, um OTC- und RX-Geschäft in der Apotheke innovativ weiterzuentwickeln und neue Zukunftsfelder für die beratungsaktive Apotheke im digitalisierten Marktumfeld zu erschließen.  
 

Vielen Dank an André Pöhler, CRM-Experte im Apothekenmarkt und Consultant im Netzwerk der Healthcare Shapers, für die Eindrücke von der expopharm 2024.
 

Autoren des Beitrags

André Pöhler

For more than 30 years, André Pöhler has been supporting medium-sized companies with passion and discipline in overcoming the challenges of the pharmaceutical industry.

With his independently founded CRM service company, he specialised in the analysis and optimisation of sales processes.

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